München braucht eine Wärmewende – ein oft vergessener Aspekt der Energiewende, bei dem wir in München wie in Deutschland noch einen weiten Weg zu gehen haben. Die Transformation zu einer erneuerbaren Wärmeversorgung ist eine komplexe Aufgabe für die Stadt, die (Wohnungs-) Wirtschaft und uns alle, die viele kleinteilige Maßnahmen erfordert – wie die Umstellung einzelner Gebäude von dezentraler Versorgung auf Fernwärme, energetische Sanierung und Heizungstausch, Erschließung von Ab- und Nahwärmepotentialen und den Bau zentraler klimafreundlicher Wärmeerzeuger für die Fernwärme.
Um diese umfassende Herausforderung in München zu bewältigen, wäre eine kohärente städtische Strategie notwendig, mit der die einzelnen Akteure von Stadtpolitik und -verwaltung ihre Aktionen abstimmen können. Dazu hat die Stadt München nun Ende 2021 die sog. „Wärmestudie“ veröffentlicht. In dieser Studie sind die Informationen gesammelt, die die Planung überhaupt erst möglich machen: In welchen Gebieten der Stadt bietet sich der Fernwärmeausbau an, wo könnte man am schnellsten aus der Gasverbrennung aussteigen, wo sind besonders schnelle Sanierungsmaßnahmen notwendig, … Dazu stellt die Studie dar, mit welchen Kosten bis zum Erreichen der Klimaneutralität zu rechnen und wie die Transformation möglichst wirtschaftlich zu erreichen ist.
Die gute Nachricht: Auf lange Sicht lohnt sich der Umstieg auf klimaneutrale Wärmequellen für alle – nicht nur klima-seitig, sondern auch finanziell!
Wir haben uns die fast 300-seitige Wärmestudie im Detail angeschaut und hier unsere Bewertung und Kritik zusammengefasst:
Die Wärmestudie – jetzt schon veraltet?
Die Wärmestudie stellt eine wichtige Informationsquelle dar und ist ein ganz eindeutiger Aufruf zum Umbau der Wärmeversorgung.
Allerdings: Sie wurde bereits im Frühjahr 2021 fertiggestellt, jedoch (aus politischen Gründen) erst Ende des Jahres 2021 veröffentlicht – deshalb ist sie in manchen Punkten jetzt schon veraltet: Der CO2-Preis für Heiz- und Heizkraftwerke stieg etwa seit Frühjahr 2021 bereits über den durch die Studie für 2030 angenommenen Wert an – daraus ergibt sich eine finanzielle Mehrbelastung, die in der Studie nicht ausreichend dargestellt wird. Außerdem: Das von den SWM zeitweise angestrebte neue Erdgaskraftwerk (GuD3) am Standort Unterföhring wird in der Wärmestudie als unverzichtbar dargestellt, während der seitens SWM mittlerweile stattdessen angestrebte Umbau des bestehenden Kohleblocks in Unterföhring in ein Erdgaskraftwerk gar nicht zur Sprache kommt – auch hier ist die Wärmestudie also längst nicht mehr auf dem neuesten Stand der Entwicklungen. Das kratzt erheblich daran, wie ernst wir diese Studie zumindest in Teilbereichen jetzt noch nehmen können.
Zielstellung „Klimaneutralität bis 2035“
Der Stadtrat hatte die Wärmestudie mit dem Ziel „Klimaneutralität für München bis 2035“ in Auftrag gegeben. Die Gutachter weisen nun nach, dass dieses Ziel mit den bislang vorgesehenen Maßnahmen und den Planungen der SWM nicht erreichbar sein wird – und zwar auch dann nicht, wenn alle weiteren Rahmenbedingungen (Bundes-Gesetzgebung, Fördermittel, …) optimal erfüllt wären. Auch für den Bereich Wärme wird in der Wärmestudie nur von „Klimaneutralität 204X“ ausgegangen – was wir als klimaengagierte Zivilgesellschaft für nicht akzeptabel halten!
Darauf, dass die SWM über ihre Beteiligung am Erdöl- und Erdgas-Unternehmen Spirit Energy an der Förderung von Erdgas in der Nordsee beteiligt ist, geht die Wärmestudie übrigens erst gar nicht ein – als hätte das keinen Effekt auf die Klimaneutralität Münchens bis 2035 – und wird in den CO2-Modellberechnungen BISKO auch gar nicht berücksichtigt. Genau so wenig wie alle Treibhausgasemissionen, die nicht mit der Energieerzeugung zutun haben und nach München „importiert“, d.h. woanders erzeugt, aber vor allem von Münchner*innen genutzt werden – und das ist immerhin mehr als die Hälfte, wie z.B. Nahrungs- und Konsumartikel, Baumaterial, Kraftfahrzeuge… Auch „Kleinigkeiten“ wie der städtische Anteil am Münchner Flughafen oder die fossilen Heizkraftwerke im HKW Nord gehören dazu: Die liegen nämlich nicht in München, sondern im nördlichen Nachbarort Unterföhring; und deren CO2-Emissionen werden dort zugerechnet. Ob das dem Klima hilft? Wohl eher nicht…
Auch der Gutachter-Vorschlag „Kompensation“ geistert noch immer durch die „Wärmestudie“, auch wenn der Stadtrat dies zurecht durch Beschluss im Juli 2021 bereits abgelehnt hatte. Wenn (und da) die Stadt München ihre Klimaziele nicht erreicht, könnten/sollten im städtischen Haushalt finanzielle Kompensationszahlungen eingeplant werden: 90 Mio. € in 2035, so die Wärmestudie. Seriöse Berechnungen für den Kauf überprüfter CO2aeq-Minderungs-Zertifikate liegen allerdings bei über 890 Mio. € pro Jahr…
Fernwärmeversorgung: Umstellung von fossil auf Geothermie
Was ist Fernwärme? – Hier weiterlesen.
Was ist Geothermie? – Hier weiterlesen.
Seit Jahren ist es eine Kernforderung des Münchner Stadtrats, die Münchner Fernwärme von fossil erzeugter Wärme (z.B. aus dem Kohleblock und den Gas-Heizwerken) auf erneuerbare Wärmeerzeugung umzustellen. Eine solche erneuerbare Quelle ist z.B. Tiefen-Geothermie. Geothermieausbau ist in München aufgrund der hervorragenden geologischen Voraussetzungen technisch und wirtschaftlich gut darstellbar und deshalb zu Recht ein entscheidender Pfeiler der künftigen Wärme-Strategie. Der Umbau ist aber technisch wie wirtschaftlich für die SWM, die Münchner Wirtschaft und die Zivilgesellschaft eine anspruchsvolle Aufgabe.
Die Wärmestudie stellt dar: Geothermieausbau, Umbau der Fernwärmenetze und deren Ausweitung ist schrittweise technisch möglich und wirtschaftlich vertretbar; aber nur mit ausreichend Fördermitteln, den richtigen gesetzlichen Rahmenbedingungen und definitiv nicht bis 2035. So unsere weiterführende Kritik: Insgesamt ist die Wärmestudie nicht konsequent und zielführend genug. Sie stellt im Wesentlichen nur die bisherigen Planungen der SWM dar. Beispielsweise sind u.a. erheblich unzureichend:
- Es fehlen konkrete Projekte-Terminpläne – samt Projekte-Monitoring und -Controlling – für neue Geothermieanlagen und ggf. deren neu zu errichtenden Verbindungsleitungen, die Umrüstung des Dampf- auf ein Heißwassernetz, …
- Es fehlt die Benennung jeglicher konkreter neuer Standorte für Geothermieanlagen.
- Ebenfalls fehlen konkrete Aussagen darüber, ob und wie durch Verknüpfungen zwischen den einzelnen Fernwärmenetzen mittels neuer Verbindungsleitungen nicht nur die (Störungs- und Ausfall-) Sicherheit des Gesamtnetzes erhöht werden kann, sondern insbesondere auch deren Wirtschaftlichkeit.
- (Wärme-) Speicher sind in der Wärmestudie – obschon dringlich erforderlich – zwar erwähnt, wohl aber nur für kurzzeitige Reserven (wenige Tage) angedacht. Auch hier fehlen konkrete Angaben über Anzahl, Standorte, Kapazitäten, Zeiträume.
- Alle in der „Wärmestudie“ als notwendig und sinnvoll dargestellten Investitionen in der Wärme-Strategie (3,8 – 4,4 Mrd. €) sind nicht nur nicht finanziert, sondern stehen unter klarem Finanzierungsvorbehalt. D.h.: Wann das Geld für die erforderlichen Investitionen vorhanden sein wird, wann sie also tatsächlich umgesetzt werden, ist schlicht unbekannt!
- Außerdem: Es gibt gar keinen Beschlussantrag an den Stadtrat, dass die Stadtwerke beauftragt und/oder ermächtigt werden sollen, die „Wärme-Strategie Geothermie-Fernwärme“ gemäß „Wärmestudie“ überhaupt umzusetzen.
Fernwärmeversorgung durch zentrale fossile Heiz-(Kraft)-Werke am Standort HKW Nord
Die Wärmestudie geht durchgängig davon aus, dass, wenn die Kohleverbrennung im HKW Nord (Block 2) schnellstmöglich abgeschaltet werden soll, eine Ersatzanlage gebaut werden müsse – ein neu zu errichtendes Gas- und Dampfkraftwerk GuD3 (= Erdgaskraftwerk!).
- Fakt ist allerdings, dass der Stadtrat bis heute weder den Bedarf für eine Ersatz-Anlage hat prüfen lassen noch Errichtung und Betrieb einer solchen (Erdgas-befeuerten) GuD genehmigt oder beauftragt hat.
- Außerdem hat der Gemeinderat Unterföhring, in dessen Gemarkung das HKW Nord fällt, einstimmig beschlossen, dass an diesem Standort keine fossilen Energien mehr zum Einsatz kommen sollen – damit ist die GuD3 gar nicht genehmigungsfähig.
- Alternativen zur neuen GuD3 haben die Gutachter erst gar nicht in Betracht gezogen, geschweige denn ernsthaft geprüft. Sonst hätten sie sicherlich feststellen können, dass die seit Jahren diskutierte „Kleine Heizwerke-Lösung“ eine klimafreundlichere, deutlich günstigere und schnellere Alternative bis zur Fertigstellung der Geothermie-Wärme-Strategie ist als ein neues Erdgas-Großkraftwerk. (Übrigens: Die Idee zur Kleinen Heizwerke-Lösung stammte 2019 ursprünglich vom gleichen Gutachter, der sie jetzt in der Wärmestudie nicht mehr erwähnt…).
- Und leider haben die Wärmestudien-Gutachter wohl auch „übersehen“, dass die Stadtwerke München selbst bereits im Juli 2021 ein Alternativkonzept zur GuD – ausschließlich auf Erneuerbarer Energien-Basis – ausgearbeitet und dargelegt haben.
Dass die Wärmestudie dennoch auf der GuD3 beharrt, ist an sich schon sehr bemerkenswert, verstärkt jedenfalls erneut erhebliche Zweifel an ihrer Seriosität und Neutralität. Auch, dass die SWM anstelle der Neubaupläne zur GuD3 längst beabsichtigen, den Kohleblock 2 im HKW Nord auf Erdgas umzubauen (was einem „neuen Erdgaskraftwerk durch die Hintertür“ gleichkäme!), wird in der Wärmestudie mit keinem Wort erwähnt – und in die CO2-Berechnungen „Klimaneutralität 2035“ auch nicht einbezogen.
Wärmeversorgung außerhalb von Fernwärme-Netzen
Zurecht fordert die Wärmestudie, dass in den Jahren bis 2050 der (durchschnittliche) Gebäude-Energiestandard (KfW) bei Bestand wie Neubau abgesenkt werden müsse. Heißt: Alle Wärme- und Warmwasser-Erzeuger in unsere Gebäuden müssen künftig deutlich weniger Energie verbrauchen! Außerdem muss die jährliche energetische Gebäude-Sanierungsrate spürbar gesteigert werden (von derzeit rd. 1,3% auf künftig 2,5% aller Münchner Gebäude pro Jahr). Damit kann der Wärmebedarf in München um rund ein Drittel gesenkt werden, so setzt die Wärmestudie an. Aber: Diese Ziele sind äußerst „sportlich“, und in München nur erreichbar, wenn auch Bundes- und Landes-Rahmensetzungen schneller und deutlich als bisher kräftiger mitziehen – und die Stadt selbst alles unternimmt, was sie in eigenständiger Verantwortlichkeit unternehmen kann (und nicht auf „bessere Zeiten“ aus Berlin wartet).
Ein wesentliches Augenmerk der Wärmestudie liegt – auch hier: zurecht – auf der Wärmeversorgung der Gebiete Münchens, die nicht an Fernwärme angeschlossen sind bzw. werden (können). Richtigerweise legt die Wärmestudie den Fokus hierbei auf Wärmepumpen. Diese sind jedoch sehr stromintensiv – in der Wärmestudie wird nicht konkret dargestellt, wie und wo diese erheblich zusätzlichen Mengen „grünen“ Stroms in Zukunft herkommen sollen. Fakt ist: 63% des heute in München aus den Steckdosen kommenden Stroms ist nuklearen oder fossilen Ursprungs (Quelle: Leistungsdarstellung SWM).
Aus unserer Sicht ist entscheidend, dass ab sofort (und nicht erst ab 2026, wie in der Wärmestudie gefordert) keine neuen Warmwasser- und Heizanlagen auf fossiler Basis errichtet werden dürfen – z.B. neue Heizöl-Heizungen! Dafür müssen die immobilienbesitzenden Münchner*innen und die Immobilienbesitzer motiviert werden, ihre neue oder umzurüstende (!) Heizungsanlage auf „klimafreundlich“ umzustellen. Und eben hier fordern wir die Stadt München zum weitaus stärkeren Handeln auf: z.B. durch strategisch geplante, konsequente, quartiersbezogene„von-Haustür-zu-Haustür“-Beratung und (zusätzliche) attraktive städtische Fördermittel für Umbauwillige. Und hier muss die Stadt selbst – mit allen städtischen Gebäuden und ihren großen städtischen Wohnungsgesellschaften – endlich ihrer Vorbildrolle gerecht werden!
Dazu fehlt es in München aber u.a. an städtischem Fachpersonal für Gebäudeplanung und -bau sowie für Klima- und Fachberatung – es herrscht zurzeit faktisch Stellenstopp (!). Außerdem fehlen deutlich höhere zusätzliche Haushaltsmittel für Förderprogramme und für Werbe- und Aufklärungsaktivitäten der Stadt. Leider sind hier konkrete Vorschläge der Wärmestudie-Gutachter ziemlich dünn – und ein diesbezüglicher Stadtrats-Beschlussvorschlag für Personalstellen und Fördermitteln fehlt gleich ganz. Und damit fehlt auch jeglicher Plan, wie die Bürger*innen bei dem Ziel der schnellstmöglichen Wärmewende konkret abgeholt, motiviert und mitgenommen werden sollen.
Wasserstoff
Wasserstoff wird in der „Wärmestudie“ vielfach mit „grünem“ Wasserstoff gleichgesetzt – dem ist allerdings bei Weitem nicht so, wie wir z.B. hier zu CCS und „blauem“ Wasserstoff erläutert haben. In der Studie wird nicht geklärt, wo und wie die erheblichen Mengen an grünem Wasserstoff erzeugt und nach München transportiert werden könnten, die zur klimafreundlichen Wärmeerzeugung vorgesehen werden. Und es wird nicht dargelegt, dass bei „Befeuerung von HKWs mit Wasserstoff“ derzeit nicht die Befeuerung mit 100 % grünem Wasserstoff, sondern nur die <15%-ige Beimischung von Wasserstoff in Erdgas, also mit >85% fossilem Gas gemeint sein kann. Und nicht beantwortet ist die Frage, ob – nach Ausbau Geothermie – Wasserstoff überhaupt noch in nennenswertem Umfang benötigt würde…
Der Diskussions-Hype um „Wasserstoff“, der irgendwann und irgendwann vielleicht auch „grün“ zur Verfügung stehen könnte (!), verstellt aus unserer Sicht stark den Fokus auf das, was wir in München jetzt ganz konkret und in eigener Zuständigkeit unternehmen können und müssen: Ganz ernsthaft und sofort mit der Umsetzung einer ambitionierteren Geothermie-Wärme-Strategie beginnen!
Noch mehr Details?
… könnt ihr hier in diesem PDF mit unserer umfangreichen Kritik zur Wärmestudie auf 13 Seiten nachlesen. Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird hier wie in diesem Blogartikel auf Quellenangaben größtenteils verzichtet; die jeweiligen Studien und Berechnungen namhafter Institutionen liegen durchwegs vor und können auf Wunsch gerne zugereicht werden.