Der Steinkohleblock im Heizkraftwerk (HKW) Nord in Unterföhring („Block 2“) soll bis Ende 2022 abgeschaltet werden – so der Bürgerentscheid von 2017. Eigentlich. Trotzdem wird er über dieses Jahr hinaus weiterlaufen, denn: Die Bundesnetzagentur hat den Kohleblock 2 rechtlich noch als “systemrelevant” für das überörtliche Stromnetz eingestuft. Er kann erst dann abgeschaltet werden, wenn diese “Systemrelevanz” für die Stromerzeugung ausläuft – als naheliegender Zeitpunkt gilt 2028/30, weil dann die Überlandstromtrassen aus dem Norden fertiggestellt sein dürften. Deshalb hatte der Stadtrat das auch entsprechend beschlossen.
Doch das galt offensichtlich nur bisher: Kürzlich machte ein “Prüfauftrag” von GRÜNE und SPD im Münchner Stadtrat Schlagzeilen, die Stadtwerke München (SWM) sollten prüfen, ob sie den Kohlestrom nicht doch schon früher als 2028 loswerden könnten, indem sie den Block 2 mit Erdgas statt Kohle betreiben. Die SWM erklären: Sofern die Prüfung positiv ausfällt, könnte die Umstellung schon zur Heizperiode 2022/23 erfolgen (also diesen Herbst, in wenigen Monaten!).
Kleiner Exkurs zur Systemrelevanz des Kohleblocks im HKW Nord: Die SWM betonen immer, den Kohleblock ersetzen zu müssen, wenn man ihn abschalten will. Das stimmt nicht: Der Block 2 ist für die Stromerzeugung „systemrelevant“ voraussichtlich bis 2028/30 (s.o.). Danach kann er ohne Ersatz weg. Bei der Wärmeversorgung sieht das nur geringfügig anders aus: Es entsteht ohne den Kohleblock nur in gewissen (sehr seltenen) Notlagen eine Lücke in der Wärmeversorgung, die natürlich vor dem Abschalten des Kohleblocks geschlossen werden muss (auch Klimaaktivisti wollen im Winter nicht frieren). Es gibt aber klimafreundliche und schnell umsetzbare Lösungen dafür, etwa mit den von den SWM selbst vorgeschlagenen Lösungen auf erneuerbarer Basis im HKW Nord (z.B. Holzheizwerk) oder der “Kleinen Heizwerkelösung” (siehe unsere FAQs). Wir brauchen kein Großkraftwerk, das den Kohleblock bei Abschaltung ersetzt!
Grundsätzlich gilt natürlich: Raus aus der Kohle, so schnell wie möglich! Und ja, wenn man Erdgas verbrennt, stößt das weniger CO2 aus als wenn man Kohle verbrennt. Aber auch Erdgas ist ein fossiler Energieträger, und wir haben schon oft betont, dass Erdgas – betrachtet man alle Treibhausgasemissionen (also z.B. auch Methan) und diese über den gesamten Förderungs- und Transport- inklusive Verbrennungsprozess – keineswegs klimafreundlicher ist als Kohle. Wir stehen diesem Plan, Erdgas statt Kohle im Block 2 zu verbrennen, grundsätzlich also skeptisch gegenüber.
Außerdem beobachten wir – und so auch z.B. die SZ – einige “Ungereimtheiten” in der Vorgehensweise der SWM, die bei uns sehr starke Bedenken auslösen, was die Umstiegspläne der SWM angeht: Denn die Stadtwerke wollen wohl weit mehr und anderes, als schnellstmöglich aus der Kohle auszusteigen…
1. Wieso ein plötzlicher Kursumschwung der SWM…?
Die Idee, den Kohleblock auf Erdgas umzustellen, ist nicht neu. Es gab schon entsprechende Forderungen von Bürgerinitiativen und viele intensive Anfragen und Anträge aus dem Stadtrat an die SWM, ob das funktionieren würde. Bisher hatten die SWM daraufhin allerdings immer vehement behauptet und auch den Stadtrat entsprechend informiert, eine Umstellung auf Gas im Kohleblock ginge aus technischen Gründen nicht: Der Kohlekessel sei für Erdgas nicht konzipiert. So bestätigt das auch ein von der Stadt selbst beauftragtes Gutachten des TÜV Süd von Oktober 2019, das uns vorliegt, und so hat es dann auch der Stadtrat der Landeshauptstadt München 2019 beschlossen: Eine Umrüstung auf Erdgas könne und solle es wegen technischer Begrenzungen nicht geben.
Und jetzt behaupten die SWM plötzlich, man könne den Kohlekessel doch einfach so auf Erdgas “umstellen”, sogar innerhalb weniger Monate?!
2. Die Rechtfertigung für den Kursumschwung ist unglaubwürdig
Die SWM begründen diesen höchst überraschenden Kursumschwung mit einem „Gas-Engpass“, der 2022 behoben werden könne. Erdgas ist im HKW Nord schon heute für das Anfahren der Müll- und Kohlekessel erforderlich und ausreichend vorhanden. Es gab allerdings nie einen Gas-Engpass – zumindest keinen, der in den zahlreichen Debatten um das HKW Nord jemals erwähnt worden wäre. Und auch der bayerische Erdgas-Lieferant kann “Erdgas-Engpässe” nicht bestätigen.
3. Die Pläne zur einfachen und schnellen Umstellung von Gas auf Kohle sind unglaubwürdig
Die Formulierung „Umstellung“ von Kohle auf Gas soll suggerieren, dass man ein paar Hebelchen umlegt und dann klappt das. Rein technisch bedürfte es aber großer Umrüstungs- und Baumaßnahmen, damit man Gas statt Kohle als Regelbrennstoff im (hierfür nicht konzipierten und gebauten) Kohlekessel im großen Stil verbrennen kann. Und zwar am Kessel selbst und und ggf. auch an Maschinen-, Elektro- und Leittechnik. Technisch bewanderte Menschen (und der damalige kfm. Projektleiter des HKW Nord) zweifeln stark daran, dass das mit kleinen “Umstellungen” funktionieren kann.
Außerdem: Im deutschen Rechtssystem kann niemand “einfach so” irgendwo ein Kraftwerk hinbauen – es muss, wie jede Gartengarage – genehmigt werden. Und man darf auch ein Kraftwerk, das ursprünglich als Abfallbeseitigungsanlage mit zusätzlicher Kohleverbrennung genehmigt wurde, nicht einfach so umbauen, dass es weder mit Abfällen / Klärschlamm noch mit Kohle, sondern mit Erdgas läuft. Auch dafür braucht es eine neue Errichtungs- und Betriebsgenehmigung. Eine solche neue Genehmigung für ein mit Erdgas betriebenes Kraftwerk am Standort des HKW Nord würde aber nicht erteilt werden, da die Gemeinde Unterföhring sich klar gegen weitere fossile Energiegewinnung in ihrem Einzugsgebiet wehrt und deshalb “Baurecht” in einem Bebauungsplan für das HKW Nord fehlt.
4. Hinter dem Vorwand des schnellen Kohleausstiegs steckt etwas anderes…
Die Stadtwerke haben bereits klar kommuniziert, dass der neue Erdgasbetrieb nicht befristet sein wird (etwa naheliegenderweise bis zum Ende der “Systemrelevanz” 2028/2030). Die SWM planen einen „möglichst dauerhaften Erdgasbetrieb“ im HKW Nord, so heißt es in der Stellungnahme der SWM an das Referat für Arbeit und Wirtschaft der LH München, zitiert in der Stadtratsbeschlussvorlage vom 07.12.2021. Der neue Erdgasbetrieb soll auch nicht leistungsreduziert sein (der Kohleblock bspw. läuft heute aufgrund eines Stadtratsbeschlusses statt mit 800.000 t nur mit maximal 382.000 t Kohle). Die Erdgasverbrennung soll jedoch mit “80 bis 100% Volllast” stattfinden.
Diese Punkte führen uns zu der Überzeugung: Die SWM wollen den Kohleblock 2 in den kommenden Jahren wohl “schrittchenweise” so “umrüsten”, dass er langfristig und dauerhaft, also unbefristet mit Erdgas befeuert werden kann. Weil nie ein großer Umbau, sondern immer nur kleine Maßnahmen durchgeführt werden, soll das Ganze “innerhalb der rechtlichen Betriebsgenehmigung” des Kohlekraftwerks stattfinden (die 1990 unbefristet ausgestellt worden ist) – so jedenfalls die Aussage der SWM.
Ob eine solche Stück-für-Stück-Umrüstung des Kohleblocks in einen Erdgas-/Wasserstoff-Block „im Rahmen der bestehenden Genehmigung“ tatsächlich rechtlich zulässig wäre, ist unter Fachleuten und Jurist*innen höchst umstritten; letztlich werden wohl ggf. Gerichte entscheiden müssen. Das wird Jahre dauern…
Unser Fazit: Es kann nicht richtig sein, dass – unter dem Vorwand, die Kohleverbrennung schnell beenden zu wollen – tatsächlich ein „neues dauerhaftes Erdgaskraftwerk durch die Hintertür“ im HKW Nord errichtet wird!
Das Ganze ist für uns als klimabewusste Münchner*innen nicht akzeptabel. Warum?
Wie gesagt: Erdgas ist nicht klimafreundlich, Punkt. Und selbst wenn ein Betrieb mit Wasserstoff irgendwann (wann?) anteilig möglich wäre, was wir anzweifeln: Was würde eine 15%-ige Beimischung von “grauem” Wasserstoff ins Erdgas klimapolitisch verbessern? Denn nur darum geht es: Wenn überhaupt, dann wird jedenfalls nie 100% “grüner” Wasserstoff verbrannt, sondern dieser nur fossilem Erdgas beigemischt werden.
Natürlich stimmt trotzdem: Wenn man das Szenario “Block 2 läuft mit Kohle bis 2028/30” vergleicht mit dem Szenario “Block 2 läuft mit Erdgas bis 2028/30”, dann wäre das “klimatechnisch” etwas besser. ABER: Wegen des Bürgerbegehrens “Raus aus der Steinkohle” und auch wegen des ja per Gesetz beschlossenen bundesweiten Kohleausstiegs wird der Kohleblock 2 im HKW Nord in ein paar Jahren auf jeden Fall und definitiv abgeschaltet werden müssen. Auch wenn die SWM sich kopfstellen, das lässt sich nicht verhindern. Wenn der Block 2 nun jedoch bald unbefristet mit Gas weiterläuft? Einen bundesweit beschlossenen Gasausstieg gibt es ja (leider) nicht. Statt einem weiteren Ausbau erneuerbarer Energien im Großraum München bekämen wir dann also ein “neues” fossiles Kraftwerk im “alten Gewand”, das noch Jahre (Jahrzehnte?) weiterläuft! (Ein neu hergerichtetes Erdgaskraftwerk kann eine Laufzeit von über 40 Jahren haben!)
Und wie passt das zum Stadtratsbeschluss “Klimaneutralität München bis 2035”? Gar nicht.
Die Kernfrage bleibt: Warum das Ganze?
Warum jetzt noch aufwendig in Erdgas-Projekte investieren, in dem Wissen, dass mittel- und langfristig sowieso auf Erneuerbare umgestellt werden muss? Die Motivation der SWM ist offensichtlich: Damit mit der Verbrennung extrem umwelt- und klimaschädlichen Erdgases noch jahrzehntelang Profit gemacht werden kann!
Bei langer Erdgas-Laufzeit ist dadurch deutlich mehr CO2-Ausstoß zu erwarten als bei wenigen verbliebenen Jahren Kohleverbrennung. Das jedoch können wir nicht akzeptieren – wir können es uns schlicht nicht leisten: Wir brauchen die Energiewende jetzt, wir brauchen sie schnell. Wir müssen jetzt sofort in 100 % klimaneutrale Anlagen investieren und die Umstellung unserer Wärme- und Stromproduktion in München direkt angehen – warum jetzt noch ein Erdgaskraftwerk bauen, wenn wir mit demselben Geld auch Wind-, Solar-, Geothermie weiter ausbauen könnten? Wohlgemerkt: Ohne, dass die Strom- und Wärmeversorgung Münchens dabei je gefährdet wäre. Umsetzbare Alternativen sind vorhanden. Stadtrat und SWM müssen sie nur umsetzen wollen!
Detaillierter haben wir die ganze Thematik in einem mehrseitigen Factsheet aufbereitet – wer sich einlesen möchte, hier: