So, das Thema ist durch: Alle drei ampelfarbenen Parteien haben dem Koalitionsvertrag zugestimmt, Scholz ist Kanzler, Habeck Klimaminister. Und ja, jetzt müssen auch wir hier noch unseren Senf dazugeben. Wir haben den Koalitionsvertrag unter die Lupe genommen und fassen für euch zusammen, wie wir die Pläne zum Thema Energie der neuen Bundesregierung bewerten.
Der Koalitionsvertrag in Gänze zum Download übrigens z.B. hier.
Ziel: Energiewende
Der Ausbau Erneuerbarer Energien soll (!) „zentrales Projekt“ der neuen Bundesregierung werden (S. 54), so heißt es wörtlich. Immerhin: Die Ampel-Parteien packen den Ausbau erneuerbarer Energien in ihrem Koalitionsvertrag mit einem Elan an, den wir in den letzten 16 Jahren Union schmerzlich vermissen mussten. Auch eine Studie der Klima-Allianz zeigt, dass die Ziele des Koalitionsvertrags im Bereich Energie im Vergleich zu bisher noch am ambitioniertesten sind. Trotzdem attestiert die Studie: Mit dem Energie-relevanten Inhalt des Koalitionsvertrags geht die Bundesregierung zwar konform mit dem bestehenden Klimaschutzgesetz, aber für 1,5 Grad wird auch das nicht reichen.
Die Studie hat auch andere klimarelevante Bereiche des Koalitionsvertrags auf den Prüfstein gestellt, wie z.B. Bauen und Industrie. Wer sich dafür interessiert, möge hier weiterlesen.
Um Erneuerbare auszubauen, will die Bundesregierung „Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen“ – gut. Auch eine geplante Entlastung der Zulassungsbehörden – gut. Bis 2030 sollen 80 % des Bruttostrombedarfs in Deutschland erneuerbar sein. Bis 2030 wird auch 50 % erneuerbare Wärme angestrebt, ein sehr ambitioniertes Ziel in unseren Augen, zu dem allerdings jedes Wort zum Thema „Förderung“ fehlt. Hier drückt sich der Koalitionsvertrag um Konkretes.
Kohle, Gas und Wasserstoff
Darüber, dass der Kohleausstieg „idealerweise“ bis 2030 stattfinden soll, wurde bereits viel diskutiert. Wir wollen abkürzen: Wir hoffen, dass aus dem „idealerweise“ ein „tatsächlich“ wird, und werden den Weg dorthin kritisch beobachten.
Weiter: „Erdgas ist für eine Übergangszeit unverzichtbar“, so sieht es der Koalitionsvertrag (S. 59). Wir sind hier ganz klar anderer Meinung, und die Fixierung auf Erdgas als Brückentechnologie, für die sogar noch neue Erdgaskraftwerke gebaut werden sollen, stellt einen unserer Hauptkritikpunkte dar. Zwar legt der Koalitionsvertrag auch fest, dass neue Gaskraftwerke so gebaut werden sollen, dass sie auf klimaneutrale Gase (und das heißt de facto: Wasserstoff) umgestellt werden können (selbiges gilt für bestehende Gaskraftwerke, die weiterlaufen sollen). Das halten wir jedoch für Augenwischerei: Wasserstoff wird in naher Zukunft nicht in ausreichender Menge vorhanden sein, um damit Gaskraftwerke zu betreiben, und damit sich neue Gaskraftwerke trotzdem rechnen, sehen wir die hohe Gefahr, dass sie einfach mit Erdgas weiterlaufen werden. Warum Erdgas keine klimafreundliche Energiequelle ist, erklären wir u.a. hier.
Auch auf EU-Ebene wird Erdgas weiter gefördert, Klimaschützer*innen kritisieren auch das scharf.
Das Thema Wasserstoff wird im Koalitionsvertrag sehr umfangreich behandelt – das Schlagwort „Wasserstoff“ kommt mehr als zweimal so häufig vor wie z.B. „CO2-Preis“. In unseren Augen sieht das sehr ambitioniert aus. Wir brauchen eher mehr Investitionen als weniger in Wasserstoff-Technologie, aber insbesondere „grüner“, also wirklich umwelt- und klimafreundlicher Wasserstoff, wird auf absehbare Zeit Mangelware werden.
Geothermie
Geothermie wird nur mit einem Satz kurz benannt: Das Potenzial soll für die Energieversorgung, u. a. durch Verbesserung der Datenlagen und Prüfung einer Fündigkeitsrisikoversicherung, stärker genutzt werden.
Fündigkeitsrisikoversicherung: Es gibt zwei Risiken bei Geothermiebohrungen, und für beide sind Versicherungen sehr teuer: Risiko 1: Es gibt eine riesige Bohrung und dann findet man doch nichts (das ist das Fündigkeitsrisiko). Risiko 2: Es gibt ein seismisches Event, und dann muss der Auftraggeber für die Schäden zahlen. Dieses zweite Risiko ist mittlerweile gut unter Kontrolle, aber das erste tritt immer wieder ein und bedeutet dann versenkte Kosten. Das ist besonders für kleine Unternehmen eine quasi unüberwindbare Hürde, um in Geothermie einzusteigen, denn sie riskieren im Zweifel den Verlust ihres gesamten Vermögens. Zudem erhalten kleine Unternehmen schwieriger Kredite, um so eine Bohrung zu finanzieren, weil die Bank auch Angst haben muss, dass kein Geld zurückkommt.
Fündigkeitsrisikoversicherungen gibt es mittlerweile (teuer) auf dem Markt zu kaufen, aber die Idee ist, dass der Staat als zusätzlicher Garant dazukommt. Damit würden die Versicherungen günstiger werden und für kleinere Betreiber würde sich der Einstieg in Geothermie eher lohnen – das bewerten wir als sehr positiv.
Klimaschutz im Gebäudebereich
„Zum 1. Januar 2025 soll jede eingebaute Heizung auf der Basis von 65% Erneuerbaren betrieben werden“, so der Koalitionsvertrag (S. 90). Wir würden fordern: „grundsätzlich 100 % erneuerbar“ („grundsätzlich“, um Ausnahmen in schwer zu sanierenden Gebäuden zu ermöglichen) – z.B. Gasheizungen können nun weiter eingebaut werden. Allerdings müssen wir lobend anerkennen: Immerhin bedeutet dieser Abschnitt im Koalitionsvertrag ein Verbot von reinen Gasheizungen!
CO2-Preis
Die Ampel „setz[t] auf einen steigenden CO2-Preis“ (S. 62) Wie hoch der CO2-Preis denn aber nun werden soll, dazu hüllt sich der Koalitionsvertrag noch in Schweigen.
Was kostet derzeit eigentlich CO2? Der nationale CO2-Preis im privaten Bereich zu Wärme und Verkehr liegt im Moment (2022) bei 30 €/Tonne, bis 2027 soll er auf 55-65€ steigen und ab dann nur durch Handel bestimmt werden. Der europäische CO2-Preis (für Industrie, Kraftwerke und Luftverkehr) ist bei ca. 70€/Tonne. Laut Umweltbundesamt (UBA) liegen die Schäden, die eine Tonne CO2-Emission anrichten, bei 180 €.
Uns verwundert: Beim europäischen Emissionshandel (Emissions Trading System, ETS) wird ja gar nicht der Preis, sondern die Menge an ausgegebenen Zertifikaten durch die Politik kontrolliert. Es müsste also im Koalitionsvertrag heißen: „wir setzen auf weniger Emissionsberechtigungen“. Aber auch dann würde hier noch fehlen, wie viel konkret weniger es denn werden soll. Für den Anstieg des CO2-Preises auf der EU Ebene (Industrie, Kraftwerke und Luftverkehr) gibt es im Moment also keine Planungssicherheit. Der Koalitionsvertrag will für diese Zertifikate den Mindestpreis von 60€/Tonne (das gilt dann nur in Deutschland). Das ist ein guter Ansatz, bleibt aber deutlich hinter dem zurück, was wir brauchen. Besonders fehlt ein weiterer Anstiegspfad für diesen Mindestpreis.
Es bleibt unser Fazit: Im Moment darf jedenfalls noch zu viel emittiert werden, und zwar sowohl im europäischen als auch im deutschen System.
Die Ampel will außerdem eine EU-weite Integration des CO2-Handels für Wärme und Verkehr (bisher nur deutschlandweit) – das finden wir erst mal gut, falls entsprechend geringe Emissionslevel festgelegt würden natürlich und falls das Ganze sich so gestaltet, dass wir auf jeden Fall nicht unter das Level fallen, das wir aktuell in Deutschland haben.
Sozial gerechte Energiepreise
Die EEG-Umlage soll nicht mehr über die Strompreise finanziert werden. Die EEG-Umlage ist das, was der Verbraucher zusätzlich zum normalen Strompreis dazu zahlt, um eine festgelegte und garantierte Einspeisevergütung für erneuerbare Energiequellen zu ermöglichen. Wenn dieser Anteil jetzt nicht mehr über die Strompreise finanziert wird, wird dadurch der Strom für die Endverbraucher günstiger. Privathaushalte und kleine Unternehmen werden dadurch motiviert, mehr Strom statt Gas zu benutzen. (Energieintensive große Unternehmen hatten übrigens schon vorher Ausnahmeregelungen von der EEG-Regelung.)
Für uns in München ist das ist auch im Kontext der Wärmewende wichtig, denn es wird Wärmepumpen im Privatbetrieb und im zentralen Betrieb durch die SWM günstiger machen.
Fachkräftemangel
Besonders bei Sanierung und Einbau neuer Heizungen ist derzeit der Fachkräftemangel eine wesentliche Engstelle, die der Energie- bzw. Wärmewende entgegensteht. Der Koalitionsvertrag geht den Fachkräftemangel im Energiebereich allgemeiner an: Duale Ausbildung, Übergang erleichtern, Begabtenförderungswerk (S. 28 und S. 32 f.), das finden wir alles richtig, allerdings zielt man damit auf die langfristige Behebung des Mangels ab. Viel muss aber in den nächsten 10 Jahren passieren, und dafür muss man auch die aktuellen Fachkräfte weiterbilden und ihre Kapazitäten soweit wie möglich ausweiten. Das bedeutet Weiterbildung, Kooperation mit den Berufsverbänden und Vereinfachung der Genehmigungsverfahren. Weiterbildung wird allerdings nur kurz erwähnt (S. 67 f.), und da geht es mehr um den zweiten oder dritten Bildungsweg…
Fazit
Wie immer werden wir abwarten müssen, was die Zukunft bringt und ob die Koalition die Dinge, die sie sich hier vorgenommen hat, auch wird einhalten können – aber die Zeichen stehen schon mal gut, zumindest: deutlich besser als vorher, auch wenn die Erkenntnisse der Studie der Klimaallianz, dass das 1,5 Grad-Ziel damit nicht eingehalten wird, dem Ganzen einen deutlichen Dämpfer aufsetzen. Die Koalition wird nun trotzdem zeigen müssen, ob sie ihre (sicher auch dem Format „Koalitionsvertrag“ geschuldet) unkonkreten Absichtserklärungen in der Praxis wird um- und durchsetzen können – wir bleiben, wie immer, natürlich dran.