War dieser Beschluss des Stadtrats 2019, „München wird bis 2035 klimaneutral!“, jemals realistisch – oder von Beginn an greenwashing?! Genauso wie der Beschluss zur Ausrufung des „Klimanotstand“ in München (12_2019) – hat jemand bemerkt, dass sich seither was geändert hätte, trotz „Notstand“? Mittlerweile liegt ein Fachgutachten vom Ökoinstitut e.V. vor, das verschiedene Szenarien aufzeigen soll, wie München bis 2035 klimaneutral werden kann. Das Gutachten zeigt: Das wird nicht funktionieren. Hier ein paar Details, wie es dazu kam – und was im Gutachten drinsteht.
Die globale Klimakrise verschärft sich.
Die +1,5oC („Paris“) werden sicherlich überschritten werden – auch durch Tun aller in München: Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft, auch durch Sie und mich. Und das hat Auswirkungen auch in Deutschland (Ahrtal, Dürren…) und hier: Die „Hitzeinsel München“ wird zunehmend heißer, hat heute bereits +1,9oC Durchschnittstemperatur-Anstieg gegenüber Aufzeichnungsbeginn erreicht, der kühlende nächtliche Wind „Alpines Rauschen“ nimmt ab, die Zahl der Hitzetage (>30 Grad) weiter zu, Trockenzeiten nehmen zu, ebenso wie „Starkregen-Ereignisse“; und auch die Zahl der Hitzegeschädigten und Hitze-Toten in München steigt!
Die Klimaziele des Münchner Stadtrats
Im Sinne des üblichen „Wir-sind-die-Besten“-Gebahrens des Münchner Stadtrats war es folgerichtig, dass der Stadtrat mit Beschluss vom 18.12.2019 das Ziel der „Klimaneutralität“ bis zum Jahr 2030 für die Stadtverwaltung (inkl. der Tochter- und Beteiligungsgesellschaften, also auch der Stadtwerke München) und Klimaneutralität für ganz München auf 2035 festgesetzt hat; es galt, einen Maßnahmeplan zu erstellen, um München bereits bis 2035 klimaneutral umzugestalten.
Gutachten zeigen: Draus wird nichts.
Schon im Vorgänger-Gutachten des Öko-Instituts, das noch auf „Klimaneutralität 2050“ fokussiert war (Stand 2017), wurde darauf hingewiesen, dass bis 2050 ein klimaneutrales München kaum zu erreichen sein werde – trotzdem des Stadtratsbeschluss „bis 2035“. Im (immer noch nicht offiziell veröffentlichten) „Fachgutachten: Szenarien für ein klimaneutrales München bis 2035“ (Stand: August 2022), das das städtische Referat für Klima- und Umweltschutz (RKU) beim Öko-Institut Freiburg, dem Hamburg Institut und intraplan beauftragt hatte, wird klar aufgezeigt, dass diese beiden Vorgaben zur Klimaneutralität völlig unrealistisch sind (RIS, Anlage 4):
Im Trend ist in München bis 2035 mit etwas mehr als Halbierung (!) der Treibhausgasemissionen gegenüber heute zu rechnen; frühestens im Jahr 204X ist mit Klimaneutralität zu rechnen, wann immer X ist – es hängt vom künftigen Verhalten aller Stakeholder in der Stadt ab…
Was und wer kann wie viel CO2 sparen?
Die wichtigste Einflussgröße (mit fast 50% der Treibhausgas-(THG)-Reduktionen) ist der zu erwartende bundesweite Ausbau der erneuerbaren Energien in der Stromerzeugung, der zweithöchste Effekt ist der Anstieg des Anteils batterieelektrischer Fahrzeuge im Verkehr – also alles ohne Zutun der Stadt München –, dann die Verdrängung von Heizöl durch Erdgas (?), Fernwärme und Wärmepumpen und eine auf 1% verharrende energetische Sanierungsrate von Gebäuden pro Jahr. Diese Trend-Entwicklungen reichen bei weitem nicht aus, um das Ziel der Klimaneutralität 2035 zu erreichen.
Wesentlich verstärkte Aktivitäten aller relevanten Akteure in München wären erforderlich: Beschleunigung der energetischen Gebäudesanierung, Erschließung der Effizienzpotentiale in allen Energiebereichen, zügiger Umbau der Fernwärmeerzeugung auf erneuerbare Quellen (namentlich Geothermie) und der Erweiterung der Fernwärmenetze – bis heute im Stadtrat nicht beschlossen –, der Ausbau leistungsfähiger, schienengebundener Infrastrukturen im ÖPNV sowie einer (noch nicht einmal andiskutierten) CO2-abhängigen City-Maut für den motorisierten Individualverkehr samt planmäßiger Reduzierung von PKW-Standplätzen, die gezielte Ausnutzung der im Stadtgebiet vorhandenen Photovoltaik-Potenziale, eine Elektrifizierung möglichst vieler heute noch fossiler Anwendungsbereiche (z.B. dezentrale fossile Wärmeerzeugung durch strombetriebene Wärmepumpen) und auch die beschleunigte Aufstellung (öffentlicher) E-Lade-Säulen (nach dem neuen Plan vom Bundes-Verkehrsminister 300 Ladesäulen pro Tag (??)).
Das Gutachten basiert auf viel zu niedrig angesetzten THG-Emissionen
Und zur „greenwashing-Augenwischerei“ nach aussen gehört auch, dass – auftragsgemäß – im Fachgutachten nur von etwa der Hälfte gegenüber den tatsächlichen Treibhausgas-Emissionen pro Münchner*in ausgegangen wird: Von 6,2 t CO2aeq pro Jahr (2018) – im bundesweiten Durchschnitt sind es mit 11,2 t CO2aeq pro Jahr tatsächlich fast doppelt so viel (Umweltbundesamt, für 2021). Das liegt an der so beauftragten, ausschließlichen Verwendung des BISKO-Berechnungsmodells und dessen Fokussierung auf die ausschließlich innerhalb der Stadtgrenzen Münchens entstehenden energetischen CO2-Emissionen.
Ein Einschub zu BISKO (Bilanzierungssystematik für Kommunen):
Mit BISKO sollen CO2-„Importe“ und inter-kommunale Doppelzählungen von THG-Emissionen vermieden werden – also die CO2-Emissionen z.B. aus der Stahlherstellung in Duisburg werden dort, dessen Verwendung in München hier aber nicht angerechnet. Das führt nicht nur zur Verfälschung der tatsächlichen Verantwortlichkeiten aller Münchner*innen im täglichen (Wirtschafts-) Verhalten (und falschen Angaben in Rathaus-Informationen und Medien…); sondern auch zu falschen politischen Schwerpunktsetzungen, wenn Holz- statt Stahl-Bauen und Infrastruktur, Landwirtschaft und Ernährung, Konsum von Kleidung und Autos, Reisen… nicht mit berücksichtigt werden.
Eine „Treibhausgas-Bilanz der Verantwortung“ Münchens ist seit fünf Jahren gefordert, die die Defizite der BISKO-Berechnung ausgleicht; die würde dann etwa auch den Mit-Eigentums-Anteil am Flughafen MUC, die Kohle- und Erdgas-Verbrennung im Heizkraftwerk Nord (in der Nachbargemeinde Unterföhring) oder auch die Erdgas-Förderung der Stadtwerke München in der Nordsee mitberücksichtigen müssen! Darauf verweist das Gutachten selbst: „Durch die Methodik der territorial bezogenen Treibhausgasbilanz werden wichtige Faktoren einer klimaneutralen Stadt nicht erfasst, die im Rahmen der Klimaschutzmaßnahmen dennoch adressiert werden müssen“ (Gutachten S. 100, HddV).
Also: „Klimaneutralität München 2035“ würde bedeuten: Von 11,2 t CO2aeq pro Einwohner und Jahr 2021 runter auf 0,4 t CO2aeq(unvermeidbarer) THG-Emissionen bis 2035: Mit den bisherigen Maßnahmen u.a. der Stadtregierung Münchens – unmöglich!
Die Finanzierungsfrage…
Dazu passt leider auch die derzeitige Diskussion über die (Unter-) Finanzierung von Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen in und für München: Im Mittelfristigen Investitionsplan (MIP) des städtischen Haushalts sind – sage und schreibe – 4,9% der Mittel (!) für Klimamaßnahmen vorgesehen; zusammen mit pauschalen Jahresbeträgen (100 Mio. €) und einem ausschließlich für Mobilität und Gebäudesanierung vorgesehenen Betrag (147 Mio. € für 5 Jahre) sind dies zusammen rd. 223 Mio. € pro Jahr. Erforderlich wäre – so Vergleichsstudien und Zahlen anderer Städte – das Dreifache!
Wie geht’s weiter?
Und nun? Nun ist der politische Beschluss zur Veröffentlichung des Fachgutachtens samt Diskussion der daraus zu ziehenden Folgerungen in Klimarat und Stadtrat für 26.10.2022 – erst einmal vertagt! Jedenfalls schienen auch die Stadträt*innen, die auf der Politischen Podiumsdiskussion im „Klimaherbst_Lebensraum Stadt“ am 11.10.2022 dazu ausführlich befragt wurden, ob dieser Katastrophenmeldung wenig berührt. Im vorgesehenen (aber verschobenen) Stadtratsbeschluss soll das zuständige Klimaschutz-Referat u.a. beauftragt werden, die Grundlagen des Fachgutachtens ggf. überprüfen zu lassen, den Stadtrat über die aktuellen Entwicklungen auf EU-, Bundes- und Landesebene zu informieren (aber nur über etwaige finanzielle Kompensationsmöglichkeiten nicht-reduzierter THG-Emissionen!) und ein Konzept für ein Ziel- und Maßnahmen-Controlling zu entwickeln (!) – ein kraftvolles „Weiter-so-wie-bisher“ also!
Das mindeste wäre doch zunächst, dass der Stadtrat sein Greenwashing-Versprechen, München werde bis 2035 vollständig klimaneutral gemacht sein, gegenüber der Bevölkerung mit Worten allergrößten Bedauerns zurückzieht; dies verbunden mit dem – jetzt – ernstgemeinten Versprechen, nun wirklich ernsthaft und zielgerichtet-konsequent alles Erforderliche in seiner Entscheidungsmacht Stehende zur wirksamen und schnellstmöglichen Treibhausgas-Emissions-Minderung zu tun: Beginnend etwa mit den bislang ausgeklammerten größten THG-Emittenten (u.a. den Kohle- und Gas-Kraftwerken der Stadtwerke), mit der längst versprochenen (aber nicht beschlossenen) Geothermie-Strategie, mit Umbau der gesamten Stadtverwaltung u.a. mit einem wirksamen „Klimamanagement“ und einem jährlichen CO2-Monitoring, mit den erforderlichen finanziellen, ggfs. mit neuartigen Finanzierungsmitteln des Klima-Impact-Investing bereitgestellten Finanzmitteln,… und nicht zuletzt mit pro-aktiver (!) Information und Einbeziehung aller Münchner*innen!
Das jedenfalls wünscht sich…
Dr. Helmut Paschlau
seit 40 Jahren Beobachter der Energie- und Klimapolitik in München, davon sechs Jahre als vom Stadtrat gewählter externer Experte in der städtischen Energiekommission; u.a. Mitglied von Fossil Free München, Netzwerk Saubere Energie München und der zivilgesellschaftlichen „Initiative: Mehr Geld für’s Klima!“
München, den 01.11.2022