Ein Umbau der Kohleverbrennung im Block 2 des HKW Nord in einen „dauerhaften Erdgasbetrieb“ kann – abhängig von Fahrweise und Betriebslaufzeit – in Summe oder jährlich zu erheblich höheren Treibhausgas- / CO2-Emissionen führen als eine baldige Beendigung der Kohleverbrennung. Eine Stadtratsentscheidung zur Treibhausgas-Reduzierung bei Erdgasbetrieb steht bislang immer noch aus.
Stadtratsbeschluss vs. Stadtwerke München
Mit Stadtratsbeschluss vom 23.03.2022 (vier Wochen nach Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine) wurde entschieden, dass der bisherige Kohleblock 2 – ohne Last- oder Fristbegrenzung – auf „dauerhaften Erdgasbetrieb“ umgebaut wird. Das sollte im Sommer 2023 für die Heizperiode 2023/24 passieren. Dieser Stadtratsbeschluss wurde aufgrund der aktuellen politischen und energiewirtschaftlichen Situation durch die Geschäftsführung der Stadtwerke München GmbH ausgesetzt. Der Stadtrat hat nun am 20.06.2023 einen (faktisch gleichen) Beschluss gefasst und damit die Stadtwerke München beauftragt, Block 2 im HKW Nord im Sommer 2024 von Kohleverbrennung auf Erdgas umzubauen.
Weder Last- noch Laufzeitbegrenzung
In diesem Beschluss wurde erneut keinerlei Last- und/oder konkrete Betriebslaufzeitbegrenzung des dann beabsichtigen „dauerhaften Erdgasbetriebs“ beschlossen. Obwohl z.B. ein 100%-iger Volllastbetrieb mit Erdgas und/oder eine Betriebslaufzeit bis in die 2040er Jahre (analog zur 50-jährigen Betriebslaufzeit von Block 3) zu deutlich höheren Treibhausgas- und CO2-Emissionen führen kann und führen wird. Nach Berechnungen auf Basis ausschließlich von Daten der Stadtwerke München ist bei dauerhaftem Volllast-Betrieb und einer Laufzeit zunächst bis 2035 mit einer Vervierfachung der CO2-Emssionen gegenüber einem Ende der Steinkohleverbrennung in 2027 zu rechnen!
Entgegen der bisherigen Argumentation ist eine Umstellung auf Erdgas keineswegs „per se klimafreundlicher“ als der (weitere) Betrieb mit Steinkohle: Nach einem Erdgas-Umbau kommt es auf die (Teillast-) Fahrweise und/ oder ein früheres Ende der Gas-Betriebslaufzeit des Kraftwerks an: Dabei gilt – nach SWM-eigenen Zahlen – für den Vergleich der Verbrennung von Erdgas zur Verbrennung von Steinkohle (also ohne Berücksichtigung der Methan-Emissionen bei Förderung und Transport von Gas) die grobe Faustformel: „CO2-Emissionen von Erdgas = 2/3 der CO2-Emissionen von Kohle“: Das bedeutet, dass bei einem angenommenen Ende der Betriebslaufzeit der Kohleverbrennung 2027/28 die Erdgasverbrennung ab dann nur bis 2030/31 erfolgen darf, soweit die Summe der CO2-Emissionen nicht überschritten werden soll (2024-2028 = 5 + 1/3×5 Jahre). Bezogen auf den beabsichtigten Umbau des Kohleblocks im Sommer 2024 heißt das: Dann darf der Erdgasbetrieb bei Volllast maximal bis Ende 2025 (!) sein, sonst wird die Summe der CO2-Emissionen gegenüber der Beendigung der Kohleverbrennung überschritten.
Betrieb gekoppelt an „Systemrelevanz“?
Denkbar wäre, die Restbetriebslaufzeit an das Ende der „Systemrelevanz“ zu koppeln: Aufgrund des Bescheids der Bundesnetzagentur ist der Block 2 (Kohle oder Gas) systemrelevant für die Stabilität des überregionalen Stromnetzes (nicht relevant für die Stromversorgung Münchens), muss jederzeit einsatzfähig sein und darf deshalb – auf Grundlage Energiewirtschaftsgesetz – nicht stillgelegt werden. Doch dieser Bescheid ist befristet zunächst bis Ende 2024. Erwartet wird jedoch eine Verlängerung der „Systemrelevanz“ bis zur Fertigstellung des SuedOstLink. Für diese große Strom-Übertragungsleitung von Norddeutschland bis Bayern ist die Betriebsbereitschaft nach neuesten Informationen bereits Ende 2027 (Süddeutsche Zeitung 07.02.2023). Baubeginn war in Bayern Anfang Dezember 2023.
Hinsichtlich einer Lastbegrenzung wäre eine Kopplung an die derzeitige 38%-ige Teillast-Fahrweise der Steinkohleverbrennung zwar möglich, aber unsinnig, denn diese ist begründet durch die technischen Gegebenheiten der Steinkohleverbrennung: Der TÜV Süd hatte in seinem Gutachten die Befürchtung erhoben, dass bei Kohlebetrieb und längerer Stillstands- und Niedrigfahrweise stärkere Korrosionen am Kohlekessel entstehen könnten. Deshalb ist – unter Einplanung diverser Zeiten für Sommer-Revisionen und Heiz-Übergangsperioden mit reduzierter Leistung und Winter-Volllast – ein Jahresdurchschnitt von rechnerisch 38% entstanden (was nichts mit dem Wärme-/Strombedarf zu tun hat!). Diese Befürchtung „Korrosion“ besteht bei Erdgasbetrieb – so der TÜV – nicht. Also kann der künftige „dauerhafte Erdgasbetrieb“ ausschließlich Bedarfs-orientiert für München (!) gefahren werden. Das bedeutet: Der stromseitige Bedarf für München ist Null und für Fernwärme läuft Block 2 – laut dem TÜV – ohnehin nur „in Reservefunktion“. Kurzer Exkurs: „Reservefunktion“ bedeutet, für den sogenannten „n-1-Wärmenotfall“, bei dem die Außentemperatur unter -16oC liegt und gleichzeitig die nächste große Wärmequelle, in München das HKW Süd, ausfällt.
Fahrweise entsprechend „Systemrelevanz“ – im (Warm-) Stand-By-Betrieb?
Faktisch wird der sogenannte „dauerhafte Erdgasbetrieb“ künftig ganz stark vom (bundesweiten) Merit Order-Strompreis-Prinzip abhängig sein. Nach diesem Prinzip werden Kraftwerke – entlang ihrer möglichst geringen Kostenbelastung – bundesweit (stundenweise) zugeschaltet, bis der jeweilig aktuelle Gesamt-Strombedarf in Deutschland gedeckt ist. Dabei werden erst PV- und Windkraftanlagen, dann Braunkohle-, später Steinkohle- und – aufgrund des hohen Erdgas-Preises – zuletzt die teuren Gas-Kraftwerke zugeschaltet. Deshalb werden die Stadtwerke bestrebt sein, über den bundesweiten Strombedarf hinaus, den im (Kohle- oder Gas-) Block 2 des HKW Nord gewandelten Strom zu exportieren nach Österreich, Tschechien oder Frankreich…
Gänzlich anders – und deutlich klimafreundlicher – sähe die Situation aus, wenn nach dem Umbau auf eine Erdgas-Betriebsfähigkeit der Erdgasblock 2 dann befristet auf (Warm-) Stand-by-Betrieb gehalten und – unter Einhaltung der juristischen Voraussetzungen aus der „Systemrelevanz“ für das überregionale Stromnetz – faktisch nicht oder nur wenige Tage pro Jahr gefahren würde. Denn im Gegensatz zur mehrere Tage erfordernden Aufheiz-/Anfahrzeit bei Kohle ist bei einem Gas-Betrieb der Kessel im „Systemrelevanz“-Netz-Notfall binnen weniger Stunden so aufgeheizt, dass der Block 2 Strom ins überregionale Stromnetz speisen kann. Dies wird bestätigt im Gutachten des TÜV vom 07.10.2019. Block 2 ist also für die Münchner Stromversorgung nicht relevant und hat für die Fernwärmeversorgung nur die oben erwähnte „Reservefunktion“ inne. Für diesen Fall gäbe es mit der „Kleinen Heizwerke-Lösung“ laut des Gutachtens 11_2019 des Öko-Instituts allerdings eine schnell zu realisierende und klimafreundliche Antwort.
Seitens der Stadtwerke München wird durchaus bestätigt, dass ein Warm-Stand-by nicht nur technisch und rechtlich möglich wäre. Laut dem Energiewirtschaftsgesetz sind die Stillstandskosten nicht von Kund*innen direkt, sondern vom Netzbetreiber zu bezahlen, daher wäre dieser Fall auch deutlich wirtschaftlicher, als ein Merit Order-Erdgasbetrieb des Block 2 für den bundesdeutschen Markt. Aus diesem Grund könnten die SWM vermutlich auch keinen Kalt-Stand-by (mit einer längeren Anfahrdauer gegenüber einer kürzeren Anforderung im Notfall) akzeptieren, wohl aber einen Warm-Stand-by.
Umbau ohne rechtsgültige Genehmigung?
Schließlich ist unklar, ob der beabsichtigte Umbau von Steinkohle- auf Erdgasbetrieb überhaupt rechtlich zulässig ist, zumindest ohne eine vorlaufende rechtsgültige Änderungsgenehmigung durch die Genehmigungsbehörde (die Regierung von Oberbayern). So liegt der Gemeinde Unterföhring liegt eine Rechtsauskunft vor: Nach öffentlichen Aussagen des Bürgermeisters von Unterföhring im dortigen Bauausschuss vom 08.12.2022 sei ein Umbau von Kohle auf Gas nur zulässig, wenn er zum seinerzeitig genehmigten Zustand (im Planfeststellungsbeschluss 1991) identisch ist. Das ist nicht vorstellbar, da ja für eine Erdgasfähigkeit die technischen Änderungen erst noch erforderlich sind. Die Stadtwerke München haben mehrfach ausgesagt, dass der Umbau im Rahmen des seinerzeitigen Planfeststellungsbeschlusses 1991 erfolgen werde. Hierüber liegen aber weder eine Bestätigung noch eine Aussage zur Fragestellung seitens der Genehmigungsbehörde, der Regierung von Oberbayern, vor, ob der Umbau ohne eine Änderungsgenehmigung tatsächlich rechtlich zulässig ist.
Hier sei noch darauf hingewiesen, dass der Regierung von OBB weder Planunterlagen noch ein Bau- oder Änderungs-Antrag seitens der SWM vorliegen (Schreiben der RegOBB vom 20.02.2023). Die entsprechenden Unterlagen (Ergebnisse der Gas-Fahrversuche, Gutachten, Aussagen des Kessel-Herstellers, Pläne für den Umbau von Kohlekessel, Leittechnik, Rauchgasreinigung etc.) haben die Stadtwerke bislang nicht veröffentlicht, insbesondere obwohl der Stadtrat dies am 20.06.2023 so beschlossen hat. Die Unterlagen liegen der Genehmigungsbehörde bislang ebenfalls nicht vor, weshalb sie die Rechtsfähigkeit eines Umbaus ohne vorheriger Änderungsgenehmigung nicht prüfen kann.
Unklar, aber klimaseitig erheblich relevant sind also:
- Welche Fahrweise des künftigen Erdgas-Block 2 ist vorgesehen?
- Z.B. Erdgas- Volllast (mit bis zu 88.670 m3 Erdgasverbrennung pro Stunde)?
- Z.B. Erdgas-Jahres-Teillast (50%; oder weniger als heute (38%)) – abhängig etwa von einer Merit Order-Zuschaltung?
- Oder Warm-Erdgas-Stand-by-Betrieb unter Einhaltung der Bedingungen der „Systemrelevanz“ für Netz-Notfälle?
- Welches Ende der Betriebslaufzeit ist vorgesehen?
- Ist beabsichtigt, das Ende der Betriebslaufzeit des Block 2 (Kohle oder Gas) an das Ende der „Systemrelevanz“ (2027 bis max. 2030) zu koppeln? Wenn nein, warum nicht?
- An welches Jahr oder (versorgungstechnisches) Ereignis wird das Ende der Betriebslaufzeit der „dauerhaften Erdgasverbrennung“ ersatzweise geknüpft?
- Oder soll der Block 2 gar bis 2035 oder bis in die 2040er Jahre mit Erdgas betrieben werden?
- Ist der Umbau des Kohleblock 2 ohne vorherige Änderungsgenehmigung rechtlich zulässig?
- Liegen die hierzu relevanten Pläne, Gutachten, Hersteller-Angaben usw. vor?
- Bislang hat die Genehmigungsbehörde nicht rechtskräftig entschieden, dass der beabsichtigte Umbau im Rahmen des bisherigen Planfeststellungsbeschlusses (1991) ohne vorherige Änderungsgenehmigung rechtsgültig möglich ist. Warum beantragen die Stadtwerke keine Änderungsgenehmigung bei der Genehmigungsbehörde – oder reichen mit entsprechenden Planungs-Unterlagen wenigstens eine Änderungs-Anzeige ein, damit die Regierung von Oberbayern rechtlich sauber entscheiden kann, ob eine Änderungsgenehmigung erforderlich ist?
Weder Klimaneutralitätsprüfung noch Einbezug des Klimarates
Festzuhalten ist, dass binnen der letzten beiden Jahre 2022 und 2023 der hierfür zuständige Klimarat nicht ein einziges Mal zu diesem Themenpunkten eingeschaltet wurde und hierzu – trotz entsprechender Anfragen – bislang keine Stellungnahme abgeben konnte. Auch hat die Politik bis heute keine (der vorgeschriebenen) „Klimaneutralitätsprüfungen“ durchführen lassen – klar, das schreckliche Ergebnis „bis Vervierfachung der CO2-Emissionen“ könnte ja lange bekannt sein, hat die Zivilgesellschaft vielfach betont, schließlich war es mehrfach in den Medien zu lesen. Und in der Stadtratsvorlage zum Beschluss 20.06.2023 wird mit einer Tabelle dargestellt, dass Erdgas klimafreundlicher sei als Steinkohle – nur endet diese Tabelle 2028 und berücksichtigt eben nicht die Laufzeitverlängerung bis (zunächst) 2035. Außerdem vergleicht sie Gas mit Kohle bei gleicher Leistung, hier aber steht Kohle- mit 38% der Erdgas-Verbrennung mit 100% Leistung gegenüber.
Setzt der Stadtrat der Landeshauptstadt München – angesichts des von ihm ausgerufenen „Klimanotstands“ und angesichts des +1,5 Grad-Ziels aus dem Pariser Klimaabkommen – so tatsächlich verantwortliche Klimapolitik um? Daran bestehen doch ganz erhebliche Zweifel! Es wäre wünschenswert, wenn die obigen Fragen vom Stadtrat der Landeshauptstadt München diskutiert und im Sinne von maximalem Klimaschutz auch entscheiden würden!
Quellen: