Wie? Nicht für München? Aber Wasserstoff ist doch das vielversprochene Allheilmittel als Ersatz fossiler Brennstoffe, ein technologie-offener Treibstoff für Verbrenner-Autos, Speichermedium der Zukunft, gar grüner Stoff für meine neue Heizung statt der sonst erforderlichen Wärmepumpe! Und jetzt wollen die Münchner*innen das wieder nicht – da haben sicherlich einige Ideolog*innen zusammengesessen, kennt man ja…
HyStarter – Steilflug oder Erdung der Wasserstoffnutzung in München?
Vielleicht haben aber doch einige Involvierte diskutiert, die statt politischer Heilsversprechen lieber auf die Fakten rund um „grünen“ Wasserstoff schauen – also ausschließlich aus und mit erneuerbaren Energien hergestellten Wasserstoff (H2). Dafür haben 26 Unternehmen (wie Wacker-Chemie oder BMW), H2-Hersteller (wie Tyczka Hydrogen), -anwender (wie Linde) und -transporteure (wie Bayerngas), Verbände (wie die Industrie- und Handelskammer), Forschungseinrichtungen (wie die Forschungsstelle für Energiewirtschaft) oder die Landeshauptstadt München (LHM, mit einzelnen Referaten und Tochtergesellschaften) über ein Jahr im Projekt „HyStarter“ (Link) zusammen gearbeitet. Im Rahmen dieses Projektes als einem der 15 bundesweiten potentiellen „Wasserstoffregionen“ wurde entlang der gesamten Wertschöpfungsstrecke recherchiert, Interessen abgewogen… Und schließlich Mitte 2023 der „HyStarter Ergebnisbericht Landeshauptstadt München“ veröffentlicht (Link).
Die Ergebnisse im Trendszenario 2030 für die Stadt München und die angrenzenden Landkreise sind ernüchternd:
- Im Verkehrssektor wird mit einem Deckungsanteil von H2 bei PkWs von 2% (!) gerechnet, bei LkW und Transportern je 10%, bei Bussen und Zügen 0%. Nur der Abfallwirtschaftsbetrieb der LHM traut sich zu, künftig bis zu 15 seiner Müllfahrzeuge mit grünem Wasserstoff zu betreiben. Die Gesamtnachfrage im Verkehrsbereich wird mit knapp 2.200 Tonnen H2 pro Jahr (t/a) eingeschätzt (eine geradezu vernachlässigbare Menge). Die zuständige „Stadtministerin“ für Klimaschutz (RKU) der LHM, Christine Kugler, hat in der offiziellen Vorstellungspräsentation am 10. Juli 2023 denn auch deutlich gemacht, dass es in München „kein flächendeckendes Tankstellennetz für Wasserstoff“ geben werde. Heute gibt es in der Region vier H2-Ladestationen, in München u.a. bei BMW für deren internen Gebrauch.
- Für den Wärmesektor wird zwar die insgesamt nachgefragte Menge für 2030 auf etwa das Zehnfache (rd. 21.500 t/a H2) eingeschätzt. Diese immer noch sehr geringe Menge wird aber ausschließlich für industrielle Prozesswärme veranschlagt – für Wärme in Wohngebäuden ebenso wie in Bürogebäuden: 0% Nachfrage (in Worten: Null). Genau so deutlich liest sich die klare Aussage der Stadt: Es wird in München kein Wasserstoff-Verteilnetz zur Brauchwasser- und Wärmeerzeugung geben (vergleichbar etwa zum Erdgas-Netz).
- Gleiche Mengen-Größenordnung von vielleicht 25.000 t/a H2 wird für die Industrienachfrage nach grünem Wasserstoff, ausdrücklich als „Ersatz von Erdgas“, eingeschätzt – allerdings mit dickem Daumen: „unspezifisch“.
Wasserstoff – der „Champagner unter den Energieträgern“ (Claudia Kemfert)
Hauptgrund für die geringe Nachfrage: „Keine Mehrzahlungsbereitschaft“. Oder, wieder in nüchternen Zahlen: Die H2-Nachfrage wird auf insgesamt 48.883 t/a prognostiziert, die vermiedenen CO2-Emissionen beliefen sich dann auf ca. 295.000 t/a (also rund 3% der 9,1 Mio. t CO2 pro Jahr, die aus Quellen innerhalb Münchens emittiert werden). Die Investitionssumme aller Beteiligter betrüge 365,5 Mio. €, während die gesamten Gewinne vor Steuern auf – 48 Mio. € pro Jahr (– 48.857.842,42 €/a) beziffert werden, also einer Kapitalrendite von –21,8%.
Klare Ansage: Ausreichend grüner Wasserstoff zur Bedienung der Nachfrage wird nicht in der Region und nicht in Eigenerzeugung herstellbar sein. Und selbst wenn wir den technologie-offenen Wunderstoff genannt „grüner“ Wasserstoff hätten, wenn wir ihn in Bayern herstellen oder wenigstens ausreichend importieren und mittels neuer bundesweiter Pipelines nach München transportieren könnten: Der Preis für „grünen“ Wasserstoff liegt heute – und wird auch 2030 – um ein Vielfaches höher liegen als alternative erneuerbare Energien aus Wasser, Sonne und Wind.
Der HyStarter-Bericht München bestätigt, was Fachleute aus Forschung und Praxis seit langem vorhersagen: Grüner Wasserstoff ist und bleibt ein „knappes Gut“, also in Relation sehr teuer. Es wird folglich vorrangig in den Sektoren eingesetzt werden, in denen Dekarbonisierung mittels Elektrifizierung nicht oder nur schwer möglich ist: In der Stahl- und Zementindustrie, in manchen Bereichen der Chemieindustrie, in Teilen des internationalen Schiffs- und im Flug-Verkehr (wenn Flugzeuge Strom-Akkus transportieren müssten, könnten sie – sorry – keine Passagiere mehr mitnehmen). Der klassische Verkehrsbereich und der Wärmesektor werden auch in langer Zukunft – wenn überhaupt – nicht mit Wasserstoff bedient werden, weil erneuerbare Energien aus anderen Quellen weit kostengünstiger bleiben werden.
Ein weiterer eindrücklicher Aspekt auf der Karte Deutschlands, die die etwa 11.200 km bis 2045 (!) umzurüstenden bzw. neu zu errichtenden Wasserstoff-Zuliefer-Pipelines darstellt: Der Bau der ersten 1.249 km hat im November 2023 begonnen, in Bad Lauchstädt bei Merseburg, Sachsen-Anhalt, Richtung Industriegebiet NRW (übrigens geht es dabei generell um Wasserstoff, „grüner Wasserstoff“ wird nur einen kleineren Anteil haben). Aus der Karte ist ersichtlich, dass die industriellen Schwerpunkte in Nordrhein-Westfalen bis etwa Frankfurt a.M. sowie die Nordsee-nahen Gebiete (Anschluss Richtung Niederlande) durch die bisherigen Gasnetz-Betreiber erschlossen werden sollen. München soll später auch drankommen, aber eher als „Wurmfortsatz, da rechts unten“ (Link).

(Quelle: Vereinigung der Fernleitungsnetzbetreiber Gas e.V., Link)
Wie weiter in München?
Ob die Stadtwerke München (SWM) „bis 2030“ (wie der Stadtrat beschlossen hat), „bis 2045“ (wie die SWM versprechen) oder „nicht vor 2050“ (wie unabhängige Fachleute sagen) ihr bislang überwiegend fossil betriebenes Fernwärmenetz vollständig auf klimafreundliche Wärme-Energien, insbesondere Geothermie, umgerüstet haben werden, sei dahingestellt. Dann bleibt jedenfalls die Vorsorge für Spitzenlast-Zeiten im Winter, wenn Großwärmepumpen- und Geothermie-Wärme an besonders kalten Tagen nicht ausreicht. Zur Frage, ob, ab wann, wie und mit welchem „Brennstoff“ die SWM in (Spitzenlast-) Bedarfs-Zeiten ihre (bislang mit Erdgas betriebenen) Heiz(kraft)werke befeuern wollen – etwa mit grünem (?) Wasserstoff – dazu schweigen sich die SWM im HyStarter-Endbericht im Konkreten aus. Im Endbericht heißt es dazu (S. 33): „In bestehenden … Anlagen … soll der Erdgasanteil mittels Wasserstoffs substituiert werden, was einen Umbau der Anlagen erforderlich macht“. Diese müssen auf ihre H2-Readiness erst noch geprüft werden.
Wobei völlig unklar bleibt, woher der grüne Wasserstoff – gesichert 24/7/365 – denn kommen soll: Im Erneuerbare Energien-Konzept der Stadtwerke für ihren Standort HKW Nord ist jedenfalls Wasserstoff-Eigenerzeugung (etwa mittels eines Elektrolyseur-Kraftwerks) nicht vorgesehen. Zusätzlich wird im HyStarter-Endbericht dargestellt, dass die Stadtwerke beabsichtigten, Wasserstoff aus regionalem Photovoltaik-Überschuss-Strom herstellen zu wollen. Zwischenfrage: Wo bitte sind diese PV-Anlagen? Die weiteren Projekte, z.B. das von Bayernets (dem bayerischen Gas-Lieferanten) mit dem Ziel, das HKW Nord mittels einer H2-Pipeline vom Chemiedreieck Burghausen aus anzuschließen, werden wohl nicht weiterverfolgt. Im Endbericht angesprochen ist der „European Hydrogen Backbone“, eine privatwirtschaftliche Initiative von 33 europäischen Infrastruktur-Investoren, die bis 2045 (neben vielen anderen) eine Wasserstoff-Pipeline Nordafrika-Italien-Breslau-Wien-München errichten wollen. Das macht nur Sinn, wenn in Nordafrika (insbesondere in Marokko) ausreichend grüne Wasserstoff-Projekte realisiert werden würden und dieser Wasserstoff dann kostengünstig nach Europa transportiert werden könnte – wonach es derzeit nicht aussieht.
Damit dürfte der Beschluss des Münchner Stadtrats, dass die Stadtverwaltung inklusive der Tochtergesellschaften ab 2030 beziehungsweise die gesamte Stadt München ab 2035 „klimaneutral“ sein soll, unerfüllt bleiben – die SWM-Heiz(kraft)werke werden noch weit länger mit Erdgas befeuert werden.
Fazit: Fakten zu prüfen ist realistischer, als politischen Versprechungen nach „Technologie-Offenheit“ oder Beschlüssen für „Klimaneutralität“ zu glauben. Aber das ahnten wir ja bereits.
Quellen:
- Now GmbH: HyStarter-Projekt-Homepage (Link)
- HyStarter: Ergebnisbericht 2023 Landeshauptstadt München, 2023 (Link)
- en:former – der Energieblog von RWE: Erdgas-Pipelines für Wasserstoff umrüsten, 03.03.2022 (Link)
- Erneuerbare Energien Hamburg Clusteragentur GmbH: Karte zum Wasserstoff-Starternetz 2030 (Link)