Und damit der Atmosphäre zusätzliche 40 Millionen Tonnen CO2 erspart.
Fast niemand hat’s gemerkt: Keine Pressemeldung von den Stadtwerken München (SWM) oder von einer der Rathaus-Parteien, kein Zeitungsartikel, nichts in Tagesschau oder Bayern 1 – und in den sozialen Medien nur, was wir, die organisierte Zivilgesellschaft veröffentlicht haben:
Die Regierung von Oberbayern (RegOBB) hat mit Bescheid vom 09.06.2022 das Genehmigungsverfahren für die „Gas- und Dampfturbinen-Anlage“ förmlich eingestellt, die die SWM im HKW Nord, Unterföhring, als neues Erdgas-Großkraftwerk bauen und betreiben wollten.
Was nichts anderes bedeutet, als dass dieses neue Erdgas-Kraftwerk, die sog. „GuD3“ (die GuD 1 und 2 sind im HKW Süd), nicht gebaut und betrieben werden darf.
Fehlt es jetzt an Strom und Wärme?
Eigentlich ist dieses neue Großkraftwerk für die Wärme- und Stromversorgung nicht nur Münchens ja „unverzichtbar“, wie die Stadtwerke seit 2018 stets veröffentlicht und in Stadtratsunterlagen geschrieben haben: Die GuD3 sollte – so die SWM – beizeiten den Kohleblock im HKW Nord „ersetzen“, der laut Bürgerentscheid von 2017 in den nächsten Jahren abgeschaltet werden muss. Eigentlich auch naheliegend: Wenn ein (Kohle-) Kraftwerk entfällt, muss es doch durch ein neues (Gas-) Kraftwerk ersetzt werden, oder nicht?! Da braucht man nach dessen „Bedarf“, nach der Notwendigkeit einer neuen fossilen Anlage nicht mehr zu fragen?!
Wenn sie nun doch nicht gebaut wird: Fällt dann der Strom aus? Und im Winter die Heizung? (für diejenigen, die an das Dampf-Fernwärme-Netz in der Innenstadt angeschlossen sind).
Nein, nichts davon: Der Strom kommt weiterhin auch in München aus der Steckdose und die Fernwärmeversorgung ist auch ohne die neue GuD3 gesichert – weil dieses neue Erdgas-Großkraftwerk in Wahrheit nie „unverzichtbar“ war und nie „unbedingt erforderlich“: Das haben die SWM (und GRÜN/ROT im Rathaus) zwar immer behauptet, aber nie z.B. durch eine interessenneutrale „Bedarfsprüfung“ eines unabhängigen Fach-Gutachtens nachgewiesen. Sondern immer nur von „ersetzen“ gesprochen…
Wir dagegen, die im Bereich Klima_Energie organisierte Zivilgesellschaft, wir haben von Beginn der Debatte an – basierend auf den Gutachten von TÜV-Süd 10_2019 und ÖkoInstitut 11_2019 – darauf verwiesen, dass es klimafreundlichere, kostengünstigere und schneller zu realisierende Alternativen zum Neubau dieses Gas-Kraftwerks gibt (u.a. Ausbau Geothermie, zwischenzeitliche „Kleine Heizwerkelösung“; Denn die GuD3 hätte nach Inbetriebnahme (wegen zu erwartender Klagen frühestens ab 2030) und ihrer 30-jährigen Laufzeit über 30 Mio. t CO2, bei 40 Jahre Betrieb (also mindestens bis weit über die 2060er Jahre!) über 40 Millionen Tonnen CO2 emittiert.
– zu „Klimaneutralität 2035“, wie vom Stadtrat beschlossen, hat das noch nie gepasst!
Haben die SWM deshalb schon „vorsorglich“ auf die eigentlich vom Stadtrat vorgeschriebene „Klimaneutralitätsprüfung“ verzichtet?!
Die GuD3 im Stadtrat
Symptomatisch wie in München durch die Stadtwerke seit über 40 Jahren „Energie- und Klimapolitik“ gemacht wird, die von den politisch Verantwortlichen stets abgenickt – oder stillschweigend geduldet – wird: Oftmals hat der Stadtrat in den letzten Jahren über die neue Gas- und Dampfturbinenanlage GuD3 debattiert (stets auf Basis von ausschließlich SWM-Unterlagen). Aber beschlossen hat der Stadtrat die neue GuD nie; auch nie die Stadtwerke beauftragt oder ermächtigt, ein solches neues Erdgas-Kraftwerk zu bauen oder ein Genehmigungsverfahren einzuleiten. Umgekehrt hat der Stadtrat aber auch nie beschlossen, dass die SWM doch besser kein neues GuD-Erdgas-Kraftwerk im HKW Nord bauen sollen.
Die SWM handeln stets auf Alleingang…
Wohlgemerkt: Die Stadtwerke München GmbH sind nicht irgendein anonymer Aktien-Großkonzern in fernen Landen, sondern eine (nach Bayerischer Gemeindeordnung) weisungsgebundene, 100% im Eigentum der Landeshauptstadt München befindliche Tochtergesellschaft. Die Geschäftsführung wird vom Aufsichtsrat bestellt, der vom Stadtrat mit förmlichem Beschluss besetzt wird (mit Stadträt:innen der jeweiligen Mehrheiten, aktuell der GRÜNEN und der SPD). „Normalerweise“ geht hier nichts, aber auch gar nichts, ohne dass der Stadtrat dazu einen positiven oder ablehnenden Beschluss fasst…
Die Stadtwerke aber haben „gemacht“ bei der GuD3: Sie haben alle erforderlichen Schritte vorangetrieben, die technische Projektplanung beauftragt und über viele Jahre durchgeführt und schließlich das offizielle Genehmigungsverfahren bei der Genehmigungsbehörde, eben der Regierung von Oberbayern, begonnen – und die Stadträte:innen im Aufsichtsrat der SWM, in den Ausschüssen und in der Vollversammlung des Stadtrats? Haben zugesehen!
Das besagt sehr viel über die tatsächlichen Machtverhältnisse im Münchner Rathaus!
(…beobachtet jedenfalls der Autor dieser Zeilen seit 40 Jahren, ehemals selbst Kraftwerke-Projektmanager bei den SWM, Mitglied in der städtischen Energiekommission, Energie-Gutachter…).
Eine ausführliche Beschreibung von Technik, Leistung, Strom-/Wärmewandlung, Gaseinsatz, Umwelt- und Klimafolgen… der GuD3 würde diesen Artikel sprengen (liegt aber alles vor!). Deshalb hier nur…
… eine Kurzfassung der Historie:
Nach langer Vorplanung stellten die Stadtwerke München in 12_2018 korrekterweise einen Antrag bei der Gemeindeverwaltung der (nördlich von München gelegenen) Nachbargemeinde Unterföhring, dass die Gemeinde ihren Bebauungsplan für das HKW Nord ändern und dadurch Bau und Betrieb des neuen Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerks ermöglichen möge. Denn in deren Gemarkung (und nicht in München!) liegt „unser“ Heizkraftwerk Nord.
Und damit ist für wesentliche Entscheidungen der Raumentwicklung und von Nachhaltigkeit und Klimaschutz nicht (nur) der Stadtrat der Landeshauptstadt München, sondern (in erster Linie) der Gemeinderat der Gemeinde Unterföhring zuständig: Nämlich immer dann, wenn die „kommunale Selbstverwaltung“ der Gemeinde Unterföhring gemäß Artikel 28 Grundgesetz tangiert ist, „alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln“. Die Bauleitplanung mit dem Instrument des Bebauungsplans („Baurecht“) ist das wichtigste Werkzeug jeder Gemeinde, um ihre städtebauliche Entwicklung zu ordnen und zu lenken.
Und da sind die (über alle Parteien hinweg einstimmigen) Entscheidungen des Unterföhringer Gemeinderats unmissverständlich: Aus „Nachhaltigkeits- und Klimaschutzgründen“ (!) sollen künftig fossil betriebene Energieanlagen auf dem Standort „Energie Unterföhring Süd“ (= HKW Nord) – bis auf „Bestandsanlagen“ – nicht mehr zugelassen sein!
Solch einen Beschluss hätte man sich auch mal vom Stadtrat im Münchner Rathaus erhofft!
Deshalb wurde vom zuständigen Gemeinderat Unterföhring ein neuer Bebauungsplan beschlossen: Zulässig sind demnach künftig nur noch Anlagen zur Erforschung, Entwicklung, Erzeugung und Nutzung von erneuerbaren Energien oder grünem Wasserstoff und Anlagen zur Speicherung von Strom und Wärme. Dass ausschließlich Erneuerbare Energien-Anlagen im HKW Nord technisch, genehmigungsseitig und wirtschaftlich machbar sind, hat ein Gutachten ergeben, das 12 unterschiedliche Typen solcher EE-Anlagen – von Geothermie über Flächen-Photovoltaik bis (nachhaltiges) Holz-Heizkraftwerk – für heute und in näherer Zukunft als realistisch untersucht hat (https://energienetzwerk-muc.de/wp-content/uploads/2022/04/KR-UA-Gutachten-BPlan-Erneuerbare-Energien-02_2022-1.pdf).
Politischer Druck aus Unterföhring und der Zivilgesellschaft
Vorausgegangen war und begleitet wurden die Nicht-Entscheidungen im Münchner Rathaus und die lebhaften Diskussionen in Bevölkerung und Gemeinderat Unterföhrings von vielfältigsten Veröffentlichungen und Fachbeiträgen, Demonstrationen und Öffentlichkeits-Aktionen, Presse- und Medien-Aktivitäten, einem Klimaschutz-Bürgerentscheid (2017 zur Kohleverbrennung), Stadtrats-Eingaben und auch Stellungnahmen an die Genehmigungsbehörde (= die Regierung von Oberbayern) (https://energienetzwerk-muc.de/wp-content/uploads/2022/08/Stellungnahme-FossilFree-BI-RadS-zum-UVP-Genehmigungsverfahren-GuD3-15.02.2021.pdf) von engagierten Menschen in München und in Unterföhring und von diversen zivilgesellschaftlichen Organisationen; so etwa vom Netzwerke Saubere Energie München, von der Bürgerinitiative „Raus aus der Steinkohle“ in Unterföhring und in München, durch Fossil Free München, später dann auch von Fridays For Future u.a..
Ja, das war von Klima-Engagierten ausgeübter, demokratisch zulässiger „politischer Druck“ auf die öffentliche Meinung und auf die Verantwortungsträger. Im Gegensatz zu der sich doch so „ökologisch“ darstellenden Stadtwerke und der Mehrheit von GRÜNEN und SPD im Münchner Rathaus: Die Gemeinderäte in Unterföhring jedenfalls haben hoch verantwortungsvoll und richtig gegen neue fossile und für Erneuerbare-Energien-Kraftwerke entschieden – jedes Mal einstimmig, über alle Parteigrenzen hinweg, zugunsten einer klimafreundlicheren und nachhaltigeren Entwicklung in ihrer Gemeinde.
… und das Juristische
In der Zwischenzeit, Stand 08_2022, hat der Gemeinderat Unterföhring seinen Bebauungsplan-Beschluss öffentlich gemacht, der nur noch erneuerbare Energien oder grünen Wasserstoff in Unterföhring zulässt. Auch der förmliche Schritt ist erledigt, Stellungnahmen der 28 „Träger öffentlicher Belange“ einzuholen (von Wasserwirtschaftsamt, Stadt München, Stadtwerke, Landes-Umweltamt bis hin zu Umweltverbänden wie Alpenverein und BUND). Im Herbst 2022 wird der letzte Entscheidungsschritt durch den Gemeinderat Unterföhrings erfolgen, bei dem etwaige Einwände nochmals abgewogen werden. Danach erhält der neue Bebauungsplan („Baurecht“) förmlich Rechtskraft.
Und ohne „Baurecht“ gemäß Bebauungsplan darf aufgrund klarer gesetzlicher Grundlagen eben nicht gebaut werden: Niemand darf sein neues Einfamilienhaus im Gewerbe- oder Grünzonengebiet, sondern nur in einem „Reinen Wohngebiet“ gemäß gültigem Bebauungsplan der Kommune errichten – und auch die Stadtwerke nicht eine neue fossil betriebene Energie-Anlage in einem Gewerbegebiet, in der nur erneuerbare Energien zugelassen sind.
Und da haben die (Juristen der) Stadtwerke wohl das politische No-go abgewogen, dass die eine, „mächtige“ Kommune die (kleine) Nachbarkommune verklagt (von der man wegen HKW Nord sonst immer „Kooperation“ verlangt); und erkannt, dass die Rechtslage (ziemlich) eindeutig ist – die Gemeinde Unterföhring darf dies so entscheiden! Auch die Genehmigungsbehörde hat das bestätigt. Ein etwaiges Klageverfahren vor Verwaltungsgericht, Bayerischem Oberverwaltungsgericht bis zum Bundesverwaltungsgericht würde nicht nur ewig dauern und viel kosten: Dessen Erfolgsaussichten zugunsten der SWM – auch noch gegen einen „Klimaschutz-Bebauungsplan“ – ist baurechtlich undspätestens seit dem Klimaschutz-Verfassungsgerichtsurteil vom April 2021 als gering einzuschätzen. Deshalb haben die SWM das 2020 mit der Umwelt-Verträglichkeitsprüfung begonnene Genehmigungsverfahren für die neue GuD3 zurückgezogen – woraufhin die Genehmigungsbehörde das Genehmigungsverfahren förmlich eingestellt hat.
Die Kosten tragen die Stadtwerke – also wir als SWM-Kunden bzw. als Steuerzahler.
Und jetzt?
Die Stadtwerke München haben bereits im Herbst 2021 reagiert mit einem Alternativkonzept: „Bausteine der Nachhaltigkeit“, Zielrichtung: „Reduzierung fossiler Brennstoffe – hin zu einer CO2-neutralen Zukunft“ (SWM): Zwei Biomasse-Heizkraftwerk-Blöcke, mehrere (optionale) Elektro-Wärme- Kessel auf Basis erneuerbarer Energie, zwei Photovoltaik-Anlagen und eine Geothermie-
Anlage – wohlgemerkt: als Alternative zu neuen Erdgas-befeuerten (Heiz-) Kraftwerken!
Geht doch! Kennt aber auch wieder (fast) niemand: Keine SWM-Pressemeldung, kein Stadtratsantrag, kein Zeitungsartikel. Und auch der Stadtrat hat das SWM-Alternativkonzept am HKW Nord nur „zur Kenntnis genommen“, aber (wieder) nicht beschlossen. Stattdessen hat der Münchner Stadtrat (in engster Abstimmung mit den Stadtwerken) mehrheitlich und noch im März 2022 – vier Wochen nach Beginn des Russland-Kriegs in der Ukraine (!) – den Umbau des (bis 2028/2030 ohnehin stilllegungs-fähigen) „Kohleblocks“ in ein neues Erdgaskraftwerk beschlossen, Baubeginn Sommer 2023, Betriebsdauer unbegrenzt (!). Nicht aber beschlossen hat der Stadtrat das fossil-freie SWM-Alternativkonzept!
(Über diesen nächsten Schritt der Kraftwerke haben wir ja auch schon berichtet, u.a. hier oder hier.)
Es stellt sich erneut die Frage, warum so beschlossen wurde: Weil dieses neue Erdgas-Kraftwerk „unverzichtbar“ sei, „unbedingt erforderlich“? Besser: Gleich ganz ohne Begründung eines (angeblichen) Bedarfs und der Notwendigkeit von Umbau und Weiter-Betrieb als Erdgas-Kraftwerk!
Unglaublich, dass der Stadtrat nach wie vor auf neue fossile Kraftwerke im HKW Nord setzt – angesichts der Erdgas-Abhängigkeiten, angesichts der Rechtslage, angesichts der Klimakrise!
Frage: Geht es möglicherweise darum, dass viele Erdgaskraftwerke in Deutschland – statt zu sparen – derzeit ‚volle Pulle fahren’, um die aktuellen hohen Strompreis-Erlöse auf der Leipziger Strombörse abgreifen (und den vielen Strom wegen der maroden Atomkraftwerke nach Frankreich exportieren) zu können, jetzt auch für SWM im HKW Nord? (s. Tagesschau 20.07.2022).
Was schließen wir daraus?
Wir erleben, dass Klima-Engagement lange dauert und viel Kräfte zehrt – aber auch erfolgreich sein kann! Deshalb sind schon jetzt alle eingeladen zur „SWM: Glückwunsch!!!“-Party, die Münchner Engagierte für September 2022 vor dem Hauptquartier der Stadtwerke wegen der „abgesagten“ GuD3 planen – selbstverständlich werden auch alle Münchner Stadträt:innen und die (nicht nur Münchner) Presse dazu eingeladen!
Und wir müssen erfahren, dass tatkräftiges Klima-Engagement weiterhin notwendig ist, vielleicht mehr denn je: „Klima“ wird nicht „irgendwo“ durch „irgendwen“ gemacht, sondern durch verantwortliche Geschäftsführer städtischer Gesellschaften und politische Gewährsträger in Parlament und Stadtrat, auch in München. Und deshalb sind alle kritischen und klima-besorgten Menschen und (auch die noch nicht) Klimaschutz-Engagierten aufgerufen, weiterhin mit uns für „München klimaneutral 2035“ zu kämpfen – auch gegen ein „neues dauerhaftes Erdgaskraftwerk durch die Hintertür“ im Kohleblock 2 im HKW Nord (so die berechtigten Befürchtungen im Gemeinderat Unterföhrings). Sei es politisch, mit Aktionen in der Öffentlichkeit oder auch (wieder) auf dem Rechtsweg.
Bleiben wir dran, bleiben wir erfolgreich!
Helmut Paschlau
u.a. Netzwerk Saubere Energie München, 03.08.2022
P.S. Der 1. Bürgermeister von Unterföhring traut sich was! Auf Einladung von Protect-the-Planet gGmbH (www.protect-the-planet.de/events) wird Bürgermeister Kemmelmeyer am 06.10.2022 im Münchner Zukunftssalon (und parallel online) einen öffentlichen Vortrag halten: „Fossile Kraftwerke – oder doch lieber erneuerbare Energien?“.
Wir Münchner:innen sollten mehr mit, als über „die Unterföhringer“ reden – das könnte helfen!