Seit Monaten, Jahren fordern wir: Die Stadtwerke München (SWM, 100%-ige Tochter der Landeshauptstadt München) müssen aus der Erdgas- und Erdölförderung aussteigen, die sie durch ihre Anteile an dem Erdölkonzern Spirit Energy betreiben. Nun ist der Fall (erneut) im Stadtrat gelandet, genauer: Im Ausschuss für Arbeit und Wirtschaft. Anstatt die SWM jetzt schon zum schnellstmöglichen Ausstieg aus dem Erdöl-Geschäft zu verpflichten, beschloss der Stadtrat lediglich, dass die SWM bis spätestens Ende des ersten Quartals 2022 einen Umsetzungsplan für einen Ausstieg durch die SWM erarbeiten müssen.
Während die SWM Stadtrat und Öffentlichkeit im Dunkeln lassen über den Stand des Ausstiegs, treibt der britische Miteigentümer Centrica übrigens den Ausstieg aus Spirit Energy munter weiter voran. Es wurde öffentlich, dass Spirit Energy den gesamten norwegischen Teil des Erdöl-Konzern verkaufen möchte. Damit würde der Erdöl-Konzern deutlich schrumpfen und das hochriskante Erdöl-Geschäft in arktischen Gewässern abgestoßen. Leider informiert die SWM den Stadtrat und die Öffentlichkeit nicht transparent über dieses Vorgehen; deshalb ist der aktuelle Stand schwer einzuordnen. Das finanzielle Risiko für München durch die Beteiligung am Erdöl-Geschäft bleibt jedenfalls weiter hoch.
Step by Step: Was treibt die Stadtpolitik?
Erstens:
Es gab im Dezember 2020 zwei Anträge im Stadtrat (verlinkt), dass die SWM aus der Erdöl- und Erdgasförderung mit Spirit Energy aussteigen sollen:
- ÖDP/FW/Linke/PARTEI wollten den Ausstieg fix bis Ende 2021
- Grüne/Rosa Liste/SPD/Volt wollten zwar den Ausstieg, die SWM sollte das „wann“ und „wie“ aber selbst organisieren und dem Stadtrat den Plan vorlegen.
Zweitens:
Das Referat für Arbeit und Wirtschaft (RAW) hat sich nun der Anträge angenommen und eine Beschlussvorlage entworfen, die dem Stadtratsausschuss für Arbeit und Wirtschaft zur Entscheidung vorgelegt wurde. Das Referat hatte die SWM dafür um Stellungnahme gebeten – um nicht zu sagen, die Beschlussvorlage ist die Stellungnahme. Sie enthält faktisch nichts weiter als die SWM-Position. Unkommentiert und unverändert, keine zweite Meinung, kein externes Gutachten oder ähnliches. Das an sich finden wir schon bedenklich: Offensichtlich verlässt sich das Referat für Arbeit und Wirtschaft komplett auf die SWM und hinterfragen deren Aussagen nicht.
Statt einen schnellst möglichen Ausstieg aus Spirit Energy enthält die Vorlage folgenden
Vorschlag: Die SWM soll sich noch mehr Zeit lassen, einen Ausstiegsplan zu erarbeiten. Also: Statt einer konkreten Verpflichtung zum schnellst möglichen Ausstieg, nur vage unverbindliche Planungen. Angesichts der offensichtlichen Beteiligung der SWM an der Entstehung der Beschlussvorlage, verwundert das nicht…
Drittens:
Der Stadtratsausschuss für Arbeit und Wirtschaft hat die Beschlussvorlage des Referats nun angenommen, allerdings mit entscheidenden Änderungen, nach Antrag der Fraktion Linke/die PARTEI und langwierigen Diskussionen im Ausschuss:
Die SWM sollen mit ihren Mitgesellschaftern bei Spirit Energy weiter Gespräche führen, um dann mit ihnen gemeinsam einen konkreten Umsetzungsplan für den Ausstieg bis zum ersten Quartal 2022 vorzulegen, wie man aus der Erdgasförderung aussteigen könnte. Es gibt aber weiterhin keine Vorgaben für die SWM, wann der Verkauf der Anteile von Spirit Energy tatsächlich geschehen soll..
Immerhin konnte der Änderungsantrag erwirken, dass die ursprünglichen Anträge von ÖDP/FW/Linke/Partei und SPD/Volt/Grüne/Rosa Liste nicht final erledigt sind, sondern „aufgegriffen bleiben“, wie es im kommunalpolitischen Jargon heißt. Das bedeutet: Das Thema ist noch nicht vom Tisch. Wir werden genau darauf achten, dass der Stadtrat das Thema erst dann zur Seite legt, wenn wirklich ein klarer verbindlicher schneller Ausstieg Spirit Energy beschlossen und umgesetzt wurde!
Viertens:
Am 29.09.2021 hat nun auch die Vollversammlung des Stadtrats den Beschluss des Ausschusses angenommen.
SWM-Positionen vs. unsere Positionen
Die SWM bemüht sich zwar um einen Verkauf der Anteile an Spirit Energy, möchte sich aber möglichst auf nichts festlegen und so wenig wie möglich in die Karten schauen lassen. Uns hat wieder keine*r gefragt, aber wir haben natürlich trotzdem eine klare Meinung zu dem Thema. Wir haben deshalb die wichtigsten Argumente der SWM aus der Beschlussvorlage des Referats für Arbeit und Wirtschaft zusammengefasst und dazu Stellung genommen.
Die Erdölförderung erwähnen die Stadtwerke in diesem Text übrigens kein einziges Mal, und das, obwohl es in beiden Stadtratsanträgen auch um Erdöl geht – und obwohl mehr als die Hälfte des Umsatzes, den Spirit Energy erwirtschaftet, auf Erdöl zurückzuführen ist (!).
Fünf Gründe, warum die SWM sofort aus der Erdöl- und Erdgas-Förderung mit Spirit Energy aussteigen müssen:
- Erdöl und Erdgas von Spirit Energy ist für die Versorgung Münchens irrelevant!
Die SWM stellt in der Beschlussvorlage des Wirtschaftsausschusses die Sachlage so dar, dass in München viele Menschen auf Erdgas angewiesen seien fürs Kochen, Duschen, Heizen etc. Und da natürlich nicht alle Münchner*innen von heute auf morgen ihre Gasheizungen und Co. umrüsten könnten, müssten die Stadtwerke weiter Erdgas liefern, wie vertraglich vereinbart. Zudem sei es Ziel der SWM, den gesamten Münchner Erdgasbedarf aus eigenen Quellen decken zu können, um so unabhängig von großen Gaskonzernen (z.B. aus Russland) zu bleiben – dazu sei also nun das eigene Erdgas aus der Spirit Energy-Förderung notwendig.
Natürlich gibt es keine Erdgas-Pipeline von der Nordsee direkt nach München. Es gibt nur ein gesamt-europäische Erdgasnetz. Das Erdgas wird von den SWM auf den
europäischen Gasmarkt eingespeist und dort verkauft. Das Erdgas, das SWM-Spirit Energy fördert, kommt zu weniger als 1% in Bayern an, wenige Promille davon also nur in München. Die Suggestion der Stadtwerke, die Erdgas-Förderung von Spirit sei für die „Unabhängigkeit Münchens“ von der Erdgas-Lieferung anderer Konzerne erforderlich, ist also schlicht Unsinn
Dass München nicht direkt vom Erdgas aus der Spirit Energy-Förderung abhängt, hat Bieberbach mittlerweile sogar selbst zugegeben.
- Der Ausstieg aus Spirit Energy ist nicht „wirtschaftlich nicht vertretbar“
Das Problem an dem Plan, die Spirit Energy-Anteile einfach zu verkaufen, ist einfach: Niemand will die Anteile haben. Wer will schon einen schwerst angeschlagenen Erdöl-/Erdgas-Konzern wie die Verluste-bringende Spirit Energy kaufen: Angesichts 550 Mio. Euro Verlust in 2020 und angesichts niedriger Erdgas-Weltmarkt-Preise durch Überangebot und weltweit steigenden CO2-Klimaschutz-Abgaben. Natürlich wird also Geld verloren gehen, wenn die SWM nun verkaufen.
Aber: Wenn die SWM jetzt ihre Anteile nicht verkaufen, zur Not mit Verlust oder sogar verschenken, wird das die Landeshauptstadt München noch teurer zu stehen kommen. Milliarden an Investitionen werden aus der fossilen Industrie abgezogen, ein Trend, der sich wohl noch beschleunigen wird. Allein seit 2019 haben die von der SWM gehalten Anteile geschätzt fast die Hälfte Ihres Wertes verloren (minus 45%). Jetzt haben wir noch eine letzte Chance, etwas von dem Geld zu retten!
- Wir brauchen eine Neuausrichtung!
Aus Punkt 2 wird klar: Fossil-Konzerne werden immer wertloser. Selbst die Öl-Industrie-nahe Energie Agentur (EA) warnt: „Stoppt die Suche nach neuen Erdöl- & Erdgas-Vorkommen und jegliche Investitionen in fossile Ressourcen ab sofort!“.
Und was macht die SWM mit Spirit Energy? Im erst kürzlich veröffentlichten Spirit Energy-Jahresbericht für 2020 wird die Strategie von Expansion und Exploration angekündigt: So sollen auch in den kommenden Jahren jährlich 128 Mio. € in die Suche nach neuem Erdöl und Erdgas investiert werden. (Unser Netzwerk-Kopf Helmut Paschlau empfiehlt an dieser Stelle übrigens: „Geschäftsbericht lesen hilft!“)
Jetzt schon ist weltweit zu viel an Erdöl-/Erdgas-Reserven bekannt, mehr fossile Rohstoffe als die Menschheit je verbrennen darf, damit wir noch eine Chance auf die Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels haben. Und da bohren die SWM mit Spirit Energy nach neuen Quellen!?
- Die SWM sind für ihre CO2-Emissionen verantwortlich, nicht die verbrauchenden Münchner*innen!
Die SWM behaupten: Für die CO2-Emissionen durch Erdgas seien ja gar nicht sie selbst, die Stadtwerke, verantwortlich, sondern die verbrauchenden Münchner Bürger*innen. Die Erzählung: Dass mit Angebot-Reduzierung seitens SWM durch weniger Spirit Energy-Erdgas die Erdgas-Nachfrage in München seitens der privaten Haushalte ja nicht reduziert werde…
Erstens: Die Behauptung, nur die Bürger*innen produzierten die Erdgas-CO2-Emissionen durch Verbrauch, ist falsch: Mit welchen Brennstoffen werden die SWM-Heizkraftwerke in München gleich noch befeuert? Richtig, Erdgas.
Zweitens: Wir erinnern uns an das wegweisende Shell-Urteil aus den Niederlanden. Das Gericht entschied, dass Shell eben nicht nur für die CO2-Emissionen durch seine Förderung verantwortlich ist, sondern auch für die Treibhausgas-Emissionen durch dessen Öl-/Gas-Gebrauch – sprich für die CO2-Emssionen auch fürs Verfeuern, Heizen und Kochen. Das dürfte dem Stadtrat und den SWM nicht unbekannt sein, steht es doch mit dem Fachbegriff „Scope 3“ sogar ausführlich z.B. in der Stadtratsvorlage zum Umweltausschuss vom 08.12.2020 (V 01424). Also: Die SWM sind auch dafür verantwortlich zu machen, was mit dem von ihr geförderten Erdgas und Erdöl geschieht – nämlich Klimaschädigung durch Verbrennung!
- „Wenn wir CO2 reduzieren, machen die anderen unser Geschäft!“ – nur eine Ausrede!
Natürlich: Auch Russland fördert Gas, auch die USA (Stichwort „Fracking“). Aber um das 1,5- oder selbst das 2 Grad-Ziel noch einzuhalten, müssen auf der ganzen Welt Förderung und Verbrennung von Erdöl und Erdgas eingestellt werden. Das schließt die USA und Russland genauso ein wie die Münchner Stadtwerke. Wir könnten vielleicht mit gutem Beispiel vorangehen…?
Würden nämlich alle heute bekannten Erdgas-Reserven von Spirit Energy gefördert und verbraucht, dann würden dadurch soviel Treibhausgas-Emissionen entstehen, dass diese das Münchner CO2-Budget (das uns noch zusteht, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze einhalten wollen) zu 47 % ausfüllen würden (natürlich bezogen auf den 31%-Anteil der SWM an Spirit Energy).
Fast die Hälfte des Gesamt-Budgets Münchens nur für die Gewinn-Träume der Stadtwerke auf den fossilen Weltmärkten?! Wir fragen in aller Deutlichkeit die Verantwortlichen im Stadtrat und bei den Stadtwerken: Halten Sie das für verantwortbar? Wir jedenfalls nicht.
Fazit
Wir kämpfen zusammen mit der organisierten Zivilgesellschaft mit ganzer Kraft dafür, dass die Stadtwerke noch in diesem Jahr – notfalls halt 2022 – aus Spirit Energy aussteigen, wie auch immer. Notfalls auch per Gerichtsentscheidung. Nicht nur fürs Klima, auch für den Geldbeutel der Münchner Steuerzahler*innen. Ob die SWM damit kurzfristig neue Verluste machen, ist in den heutigen Zeiten irrelevant.