Netzwerk Saubere Energie München

Verbrennung fossiler Energien in Industrie und Mobilität führen zu Abgas-Wolken (Foto (c) Canva)

„Negative“ Treibhausgas-Emissionen – und Münchens Rolle darin

Das Klimaschutzgesetz schreibt vor, dass die Treibhausgasemissionen in Deutschland bis 2030 gegenüber 1990 um 65 Prozent und bis 2040 um 88 Prozent sinken müssen. 2045 sollen dann „Netto“-Treibhausgasneutralität und nach 2050 „negative Emissionen“ erreicht werden. Unterstellt – was nicht der Fall sein wird – Deutschland werde bis 2045 „klimaneutral“ sein, was ist dann mit den „nicht vermeidbaren“ Treibhausgasemissionen? Genau das bedeutet „netto“: (Mindestens) die nicht vermeidbaren Treibhausgasemissionen – welche das auch immer sind – müssen durch „negative Emissionen“ kompensiert werden.

Der Euphemismus der negativen Emissionen

Nicht vermiedene Treibhausgasemissionen, für eine vergleichbare Berechnungsgrundlage ausgedrückt in Kohlendioxid-Äquivalenten CO2,Äq, müssen also abgeschieden und dann genutzt oder gespeichert werden. Ohne negative Emissionen, ohne CCS, könne Deutschland „unmöglich“ die Klimaziele erreichen, so Bundesminister Robert Habeck bei Vorstellung der „Carbon-Management-Strategie“ der Ampelregierung in Berlin (24.02.2024). Dies ergibt sich auch aus dem – weitgehend unbekannten – Eckpunkte-Papier zur „Langfriststrategie Negativemissionen“ des Bundes-Wirtschaftsministeriums (Link). Das entspricht auch der Strategie der EU-Kommission für ein „industrielles CO2-Management“ (Link ).

2045 werden – je nach Studie – in Deutschland aber zwischen etwa 35 und 70 Mio. Tonnen CO2,Äq jährlich „zu viel“ emittiert, vor allem aus Verkehr, Industrie und Landwirtschaft. Diese müssen „kompensiert“ werden.

Übersicht über erwartete negative CO2,Äq-Emissionen entsprechend verschiedener untersuchter Studien
[Quelle: Öko-Institut]

Dafür gibt es die gesetzliche Regelung für „natürliche CO2-Senken“ in Land- und Forstwirtschaft (LULUCF: Land Use and Land-use Change and Forestry): Ab 2045 ist die Rede von jährlich minus 40 Mio. Tonnen CO2,Äq, vor allem aus und durch Wälder und Aufforstung. Ob das binnen der nächsten zwanzig Jahre erreicht – und dann auch beibehalten – werden kann, darf bezweifelt werden: Heute sind Treibhausgas-Emissionen aus der Landwirtschaft in etwa genauso hoch wie die CO2-Speicherleistung durch Wälder, heben sich also gegenseitig auf. Zusätzlich dürften Waldschäden „bedingt durch die Klimakatastrophe“ die künftige Bilanz weiter verschlechtern.

Wie umgehen mit dem Kohlendioxid?

„Natürliche“ CO2-Senken werden also wohl nicht reichen, eine „CO2-Entnahme-Industrie“ muss erfunden und eine Infrastruktur für Abscheidung, Aufbereitung, Pressung, Transport (via 30.000 km CO2-Pipelines in Europa?) und anschließender Nutzung bzw. Speicherung neu aufgebaut werden. Bislang jedenfalls entfallen nur etwa 0,1 % der Speicherleistung aller CO2-Senken auf „technische“ Mittel. Deshalb sollen mit der o.g. Eckpunkte-Strategie nun auch (unterlegte) Zielgrößen für CO2-Entnahmen und -Speicherung für die Jahre bis 2060 erarbeitet werden. Wohl auch, um auch über 2045 hinaus zwar vermeidbare, aber tatsächlich nicht vermiedene Treibhausgas-Emissionen auszugleichen – quasi als Exit-Strategie, um Deutschlands Anteil am Erreichen des +1,5oC-Ziels nicht allzu sehr zu reißen – sonst drohen Strafzahlungen in Milliarden-Höhe aus internationalen Verträgen.

Wie das erreicht werden könnte? Durch Erhalt und Erstaufforstung großer Wälder, Vernässung von Mooren, Boden-Management wie z.B. dem Aufbau von (CO2-speichernden) Humus-Böden, Erzeugung von Biomasse an Land und insbesondere in Ozeanen, stoffliche Nutzung von Biomasse inkl. Biokohle, Abscheidung von CO2 nach industriellen Prozessen (inkl. Müllverbrennung) und anschließende Nutzung des abgeschiedenen Kohlendioxids in bestimmten Produkten mittels CCU (carbon capture and usage). Analog wird geforscht zur direkten CO2-Abscheidung aus der Luft / der Atmosphäre mit anschließender Nutzung oder Speicherung, dann als CO2-Sequestierung oder CCS (carbon capture and storage). So jedenfalls sieht es die „Eckpunkte-Strategie“ der Bundesregierung vor.

Technische Prozesse zum Umgang mit CO2 – viele Scheinlösungen?

Womit wir bei der umstrittenen CCS wären, der auf Jahrtausende gegen Austreten zu sichernden Speicherung von CO2. In Deutschland ist diese angesichts der Risiken für Mensch und Umwelt bekanntlich – noch (?) – gesetzlich untersagt.

Schematische Einordnung der CO2-Abscheidung (Sequestrierung): Abfolge der CO2-Abscheidung im Post-Combustion-Verfahren (einschließlich CO2-Transport und -Speicherung)
[Quelle: Wikipedia]

Die Abtrennung von CO2in Energieanlagen in Produktionsprozessen oder in Strom-/Wärme-Kraftwerken kann mit unterschiedlichen Verfahren erfolgen. Dazu gehören beispielsweise eine CO2-Wäsche nach der Verbrennung aus dem Abgas (Post-Combustion), die Abtrennung nach der Kohlevergasung (CO2-reduziertes IGCC-Kraftwerk, Pre-Combustion) oder die Verbrennung in einer Sauerstoffatmosphäre (Oxyfuel). Alle drei Verfahren werden parallel zueinander entwickelt und sind heute in Pilotanlagen realisiert.

Bei einem Kohle-, Gas- oder Müll-Kraftwerk kann als letzter Reinigungsschritt des Abgases nach der Entschwefelung eine CO2-Wäsche (Post-Combustion-Capture) installiert werden. Dafür bestehen unterschiedliche, zum Teil komplexe technologische Verfahren, die Effizienz der Prozesse wird dadurch aber um ca. 30% vermindert. Weitere Programme erforschen Möglichkeiten, das Kohlenstoffdioxid mittels chemischer Absorber direkt aus der Luft zu filtern, DAC (Direct Air Capture) genannt. Auch hier existieren erste Prototypen, mit denen die Verfahren experimentell erprobt werden. Nichtsdestotrotz ermöglichen alle diese Techniken keine CO2-freie, sondern nur eine CO2-„arme“ (Strom-) Produktion, denn nur etwa 70 % der CO2-Emissionen werden tatsächlich abgeschöpft.

Und die Kohlendioxid-Speicherung – noch mehr Scheinlösungen?

Was die anschließende Speicherung angeht, befürworten die meisten Forschenden auf dem Gebiet der CO2-Sequestrierung eine End-Lagerung in tiefen Sedimentschichten (in ca. 800 m Tiefe), deren Poren mit Salzwasser gefüllt sind. Damit ein erneutes Zutagetreten des Kohlenstoffdioxids praktisch ausgeschlossen wäre, müssen diese Schichten durch eine undurchlässige Deckschicht überlagert sein.

Diskutiert werden hier in erster Linie (untermeerische) Höhlungen oder Kavernen aufgelassener ehemaliger Öl- und Gas-Vorkommen. Wie umweltschädlich die Endlagerung großer Mengen verunreinigten CO2 in Aquiferen allerdings ist, wurde dafür überhaupt noch nicht untersucht! In allen Verfahren der Abscheidung und Speicherung ist in jedem Fall mit erheblichsten Kosten je abgeschiedener Tonne CO2 zu rechnen.

Wie sind diese Ansätze also zu bewerten?

Stellt sich die Frage nach den potenziellen Speicherkapazitäten solcher Aquifere. Die vermuteten etwa 20 Mrd. Tonnen Speicherkapazität auf deutschem Territorium entsprächen maximal den CO2-Emissionen des (heutigen) deutschen Kraftwerksparks während der nächsten 30 Jahre. Die Erfahrungen mit diesen Gesteinsschichten in Sleipner und Snøhvit (in der Barentssee in Norwegen) zeigen, dass die tatsächlich verfügbare Speicherfähigkeit deutlich niedriger anzusetzen ist, als erhofft. Gleiches zeigen die vorangetriebenen Versuche und Projekte der CO2-Speicherung vor und auf Island.

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen warnte schon 2009 deutlich (Link) vor dem Vertrauen auf diese Technologien:

  • Die technischen Risiken sind noch weitgehend unerforscht.
  • Es droht (neben Atommüll) ein weiteres nicht kontrollierbares Endlagerproblem.
  • Eine CO2-Einlagerung ist irreversibel.
  • Bis heute gibt es keinen säurefesten Beton, um die Bohrlöcher verschließen zu können.
  • Es entstehen sogenannte Ewigkeitskosten über mehrere tausend Jahre aus Steuergeldern, da die Energiekonzerne 40 Jahre nach Stilllegung die Lagerstätten an den Bund übergeben. Der Staat trägt dann auch das Haftungsrisiko und die Monitoringkosten.
  • Darüber hinaus entstehen hohe direkte Subventionen für CCS insbesondere für Energiekonzerne zu Lasten erneuerbarer Energien – wenn nicht nur „unvermeidbare“ CO2-Emissionen gespeichert werden (was von der Bundesregierung aber beabsichtigt ist).
  • Nicht zuletzt wird das Akzeptanzproblem unterschätzt.

Was nun geht uns das – in München – an?

Zunächst werden wir Münchner*innen – selbstverständlich wie alle in Deutschland lebenden Menschen – künftig höhere Preise für Produkte bezahlen müssen, bei deren Erzeugung Treibhausgase entstehen, die abgeschieden und gespeichert werden müssen. Umgehbar wäre das, sofern die THG-Emissionen, womöglich sogar kostengünstiger, vermeidbar wären. Verantwortlich für die Emissionen sind verschiedenste industrielle Prozesse, beispielsweise auch in der Auto-Produktion, und das nicht nur, aber auch in München.

Auch für die Wärme- und Strom-Wandlung in den Münchner Heiz- und Heizkraftwerken werden künftig Technologien zur Abscheidung, Nutzung und/ oder Speicherung von CO2 zur Anwendung kommen müssen: Unterstellen wir, dass ab 2035 im HKW Nord keine fossilen Energieanlagen mehr laufen, sondern nur noch solche auf erneuerbarer Basis. Dann trifft die Verpflichtung der CO2– Umwandlung insbesondere auf die übrigen bis zu fünf Spitzenlast-Gas-Heiz(kraft)werke zu. Dazu wird es auch bei einem massiven Ausbau der Fernwärme mittels Geothermie kommen, sofern sie nicht mit „grünem“ Wasserstoff betrieben werden. Für die bislang zwei großen thermischen Abfallbehandlungsanlagen mit einer jährlichen Verbrennungsleistung von etwa 700.000 Tonnen Abfall (das entspricht ca. 700.000 Tonnen CO2 pro Jahr) wird die CO2-Abscheidung längst diskutiert – und unvermeidlich sein.

‘Spirit Energy’ – da war doch was …

In der politischen Diskussion um den (überfälligen) Verkauf der Erdgas-Förderungs-Anlagen in der Nordsee, die der Tochtergesellschaft ‘Spirit Energy’ der Stadtwerke München anteilig gehören, hat die Frage der potenziellen Endlagerung von CO2 ebenfalls eine Rolle gespielt: 2021 begründeten die Stadt-werke den Weiterbetrieb der Erdgas-Förderung nicht etwa damit, dass mit dem Erdgas aus der Nordsee München versorgt werde – was angesichts fehlender Pipelines auch gar nicht möglich wäre –, sondern mit der etwaigen Nutzung der „ausgeförderten“ unterseeischen Erdgas-Kavernen für CCS. Bis heute aber ist dies nicht ansatzweise hydrogeologisch oder technisch untersucht.

Der Stadtrat der Landeshauptstadt München hat 2019 „Klimaneutralität München 2035“ beschlossen. Das schließt auch die Energie- und Abfallbehandlungsanlagen der Stadtwerke München ein. Dass Klimaneutralität 2035 nicht erreicht werden wird, ist vom städtisch beauftragten Gutachter längst festgestellt, er geht von 204X aus. Unterstellen wir, dass bis 2045 die Technologien für Abscheidung und Speicherung von CO2 – wie von der Bundesregierung vorgesehen – rechtlich, großtechnisch und marktfähig einsetzbar seien: Dann treffen uns Münchner*innen jedenfalls erheblichste Kosten auf Produkte und Energien. In jedem Falle wird das mehr sein, als wenn schnellstmöglich auf den Einsatz erneuerbarer Energien und die Vermeidung von Abfällen gesetzt werden würde – auch von den Münchner Verantwortlichen!

Quellen und Zitate: