Primär sind alle glücklich: Endlich wieder Wiesn! Doch in den Medien wird zaghaft ein Aspekt angesprochen, den begeisterte Wiesngänger*innen wohl gerne ganz ausgeblendet hätten: Während die ganze Republik über die Wirksamkeit von Energiesparduschköpfen diskutiert, verbraucht das Oktoberfest binnen zwei Wochen so viel Strom wie eine ganze Kleinstadt, so titulieren die Medien [1]. Da der Strom in München immer noch größtenteils fossil erzeugt wird (auch wenn die Stadtwerke anderes behaupten), heißt das auch, dass auf das Oktoberfest eine Menge Erdgas draufgehen wird – und das in Zeiten akuter Erdgasknappheit…
Die Wiesn in Zeiten der Energiekrise
Die Stadtwerke haben schon im Sommer die Saunen in Schwimmbädern ausgestellt und die Wassertemperatur gesenkt, ein Wohnungskonzern hat bereits angekündigt, seine Heizungen bei Nacht auf 17 Grad zu deckeln. [1] Die Menschen sind so bereit zum Energiesparen wie nie, trotz Einschränkungen [2]. Es kann nicht sein, dass die Wiesn hingegen im Jahr 2022 Energie raushauen wie bisher und dabei so tun, als sei alles wie immer. 2022 ist eben kein Jahr wie jedes andere.
Wir sind, gelinde gesagt, empört: Der Krieg in der Ukraine läuft seit Februar, die Energiepreise steigen seit Monaten durch die Decke. Dass die Lage auf dem Gas- und Strommarkt in diesem Herbst angespannt sein würde, hätte man wissen können – hätte man bei der Konzeption der Wiesn lange mitbedenken müssen. Warum gibt es kein Energiesparkonzept für das Oktoberfest? Warum gibt es keinerlei Auflagen? Dass die Wiesn nun fast ohne Sparmaßnahmen stattfinden darf, ist ein Schlag ins Gesicht all der Bürger*innen, die sich wegen anhaltender Gasknappheit einschränken müssen.
Wie viel Energie verbraucht die Wiesn wirklich?
Aber schauen wir uns den Energieverbrauch der Wiesn zuerst genauer an. Das Oktoberfest verbrauche „genauso viel Strom wie eine Kleinstadt mit 21.000 Einwohner“, so die TZ. [1] Das klingt erst mal nach mächtig viel. Setzt man das ganze in Relation, kommt man bei einem Gasverbrauch von 200.000 Kubikmetern heraus, das entspricht Heizung und Warmwasser für 85 Einfamilienhäuser (an anderer Stelle: 100 4-Personen-Haushalte [3]). Der Stromverbrauch liegt bei 3 Millionen Kilowattstunden, also so viel, wie 1200 Haushalte in einem Jahr benötigen – oder 15 Prozent dessen, was ganz München an einem Tag verbraucht. [1]
Baumgärtner erklärt, auf die Wiesn entfiele 0,6 Promille des jährlichen Stromverbrauchs der Stadt und 0,1 Promille des Gasverbrauchs. [3] Wenn man bedenkt, dass in normalen Jahren 5-6 Millionen Menschen jedes Jahr auf der Wiesn feiern, ist das gar nicht mehr so viel.
Trotzdem regen wir uns auf. Warum?
Erstens: Weil Kleinvieh auch Mist macht und es immer einfach ist zu sagen, „so viel Energie verbrauchen wir ja gar nicht – andere sind viel schlimmer.“ In Zeiten von Energie- wie Klimakrise muss jede*r bei sich selbst anfangen. Das gilt auch für das Oktoberfest, das immerhin nach wie vor ein riesiger Energieverbraucher ist.
Zweitens: Die Wiesn hat eine symbolische Wirkung. Man kann den Menschen, die im Winter ihre Heizung herunterregeln müssen, nur schwer vermitteln, warum das größte Volksfest der Welt ohne nennenswerte Einschränkungen stattfinden durfte. Die Wiesn hätte den Menschen vermitteln können, dass wir alle den Gürtel enger schnallen müssen – dass wir das gemeinsam schaffen, jede*r so, wie er*sie kann, und trotzdem bleibt der Spaß nicht auf der Strecke. Diese Chance wurde verpasst.
Die Wiesn ist wichtig – für die Menschen, für München, die Wiesn gehört dazu, nicht zuletzt nach den kargen Corona-Jahren. Auch Spaß und Kultur dürfen Energie verbrauchen. Aber gerade deshalb muss die Wiesn, wie wir alle, ihren Beitrag zum Energiesparen leisten. Nicht nur angesichts des Ukrainekriegs und der Energiekrise, sondern grundsätzlich. Klimakrise ist schließlich jedes Jahr.
Energiesparmaßnahmen auf der Wiesn
Zu einer Energiesparmaßnahme haben sich die Wiesnwirt*innen durchringen lassen: Es wird in diesem Jahr in den Biergärten und Außenbereichen keine (gasbetriebenen) Heizpilze mehr geben. Der Münchner Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner („Wiesn-Chef“) erklärt, das solle fast ein Viertel des Gasverbrauchs früherer Jahre einsparen. [3] Immerhin. Es schließt sich jedoch die Frage an, warum es dann in den Vorjahren überhaupt noch Heizpilze gegeben hat, die bekanntermaßen eine katastrophale Klimabilanz aufweisen. Aber gut.
Langfristig muss es darum gehen, Volksfeste dieser Größenordnung grundsätzlich und komplett klimaneutral auszurichten. 1997 hat München mal den Bundesprojektpreis für umweltverträgliche Großveranstaltungen gewonnen. In diesem Sinne muss es weitergehen. Wir wünschen uns bei den Organisator*innen hier deutlich mehr Elan und Kreativität: Die Wiesn könnte eine Vorreiterrolle weltweit einnehmen mit Demoprojekten wie Biogasheizung, Grillen vollständig mit Öko-Strom oder vielleicht Solarpanels auf dem Gelände („Die Wiesn produzieren ihren eigenen Strom!“). Ideen gäbe es genug, mit denen Besucher*innen neben Lebkuchenherz und Pommestüte auch das Gefühl mitnehmen könnten, dass Klimafreundlichkeit nicht notwendigerweise bedeutet, dass Gaudi und Gemütlichkeit zu kurz kommen.
Nachweise:
- [1] https://www.tz.de/muenchen/wiesn/muenchen-oktoberfest-2022-strom-energie-gas-ukraine-krieg-bayern-91664006.html
- [2] https://www.zeit.de/wirtschaft/2022-04/ukraine-krieg-heizen-strom-energie-sparen?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.de%2F
- [3] https://www.tageskarte.io/gastronomie/detail/wiesn-trotz-energiekrise-so-viel-strom-verbraucht-das-oktoberfest.html